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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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ist.«
    Bald darauf erklang aus dem schwarzen Lautsprecher grazile Musik, die einen leichteren Klang als die Beethovens hatte. Zierlicher war sie, liebreizender und munterer.
    »Wie gefällt dir das Stück?«, fragte Fredericas Bruder nach dem ersten Satz. »Ist es nicht unglaublich? Als der Komponist dieses Werk schrieb, war er genauso alt wie du jetzt.«
    »Mozart?«, fragte ich erstaunt.
    »Mozart«, erwiderte er feierlich, » Symphonie A-Dur KV 201.«
    Durch dieses Erlebnis fühlte ich mich, gut eine Stunde später, veranlasst, Jouris Vater in seiner Werkstatt zu fragen: »Warum legen Sie nie etwas von Mozart auf?«
    »Ist mir nicht robust genug«, erwiderte er, »nicht muskulös genug, nicht entschlossen genug, zu subtil.«
    Dann tauchte Jouri auch schon wieder auf, um mich erneut zu beschwören, Frederica zu meiden. Daraufhin sagte ich ziemlich erzürnt: »Red keinen Unsinn. Ich habe vorhin die Neunundzwanzigste Symphonie von Mozart gehört.«
    »Neunundzwanzig«, sagte Jouri erregt, »das ist eine Primzahl. Weißt du, wie viele er insgesamt komponiert hat?«
    »Auf der Plattenhülle steht einundvierzig.«
    »Unglaublich, schon wieder eine Primzahl! Das ist bestimmt kein Zufall. Finde einmal für mich heraus, ob die Primzahlsymphonien die besten sind.«
    »Werde ich machen, denn ich möchte sie unheimlich gern alle kennenlernen.«
    »Andere Frage«, sagte er, »hast du sie schon geküsst?«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Du gehst doch mit ihr? Und wenn man mit einem Mädchen geht, küsst man es doch, oder?«
    Als ich eine Woche später wieder mit Frederica zu ihr nach Hause radelte, sagte ich ganz beiläufig: »Jouri wollte wissen, ob wir uns schon geküsst haben.«
    »Oh«, sagte sie erfreut, »die ganze Zeit über habe ich gedacht, du hättest mir nur etwas vorgelogen, du hättest mir die hübsche Geschichte von dem Spinnengrab nur erzählt, um dich an mich heranzumachen, aber tatsächlich, es funktioniert ... Ich habe es ja gewusst, er ... er hat ein bisschen Angst, oh, wie gut. Und was hast du darauf erwidert?«
    »Dass wir uns noch nie geküsst haben.«
    »Ach, was bist du doch nur für ein Schatz. Was bist du doch nur für ein erstaunlich lieber, lieber Junge. Hättest du nur ...
    Nachdem ich in der Küche wieder verwöhnt worden war, sagte sie: »Du kannst gleich nach oben, zu George, aber zuerst gehen wir kurz in den Garten.«
    Sie sagte dies mit so viel Autorität, dass ich ihr, ohne zu fragen, warum, über den Kiesweg zu einer hohen Mauer folgte. Davor wuchs ein unscheinbarer Strauch, von dem ich erst Jahre später erfuhr, dass er Schneeflockenbaum genannt wird. Es herrschte ruhiges, sonniges Dezemberwetter. Als wir die hohe Mauer erreichten, schlang sie, während ein Rotkehlchen heftig protestierend und panisch zwitschernd aus dem Schneeflockenbaum wegflog, ihre Arme plötzlich um mich und drückte dann ihre Lippen auf meine. Ich erschrak. Sie schmeckte so seltsam. Und es war auch so vollkommen anders, als ich mir Küssen immer vorgestellt hatte. Es war so körperlich, so direkt, so unverblümt. Sie war so unglaublich nahe. Ich konnte spüren, wie sie atmete, ich konnte ihren Atem riechen.
    Es kümmerte sie nicht, dass ich ihren Kuss kaum erwiderte. Sie streichelte meine Wangen, küsste mich erneut auf den Mund und sagte: »Nun musst du auch ein bisschen zurückküssen.« Ich gehorchte und presste meine Lippen kräftig auf ihren schönen Mund. Weil sie so vorsichtig war und mich so wunderbar streichelte und mir immer wieder zuflüsterte: »Lieber, lieber Junge« und »Du riechst so herrlich«, begann ich allmählich, Gefallen an der Sache zu finden, auch wenn ich mich noch durch allerlei Gerüche belästigt fühlte. Sie sagte: »Das war jetzt Küssen. Und nun zeige ich dir, was ein Dauerbrenner ist.« Daraufhin schob sie ihre Zunge ein kleines Stück weit in meinen Mund, bis sie meine Zunge berührte.
    Wie lange wir uns dort hinten im Garten geküsst haben, weiß ich nicht. Eine Viertelstunde? Viel länger wird es doch nicht gedauert haben?
    Als wir wieder zur Villa zurückgingen, sagte sie: »Und erzähl Jouri nicht, dass wir uns geküsst haben!«
    Wie verblüffend schlau sie war, um nicht zu sagen: wie ausgekocht. Wenn ich denn erwogen hätte, Jouri zu verheimlichen, dass wir uns hinten im Garten geküsst hatten, dann hätte ich den Gedanken nach dieser dringenden Bitte ganz bestimmt verworfen. Die Vorstellung, etwas vor Jouri verschweigen zu müssen, weckte in mir den Widerstandsgeist. Als ich

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