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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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Vrouwenkerkkoorstraat gegangen? Warum hatte ich mich erneut mit dieser durchgeknallten Missionarin eingelassen? Wir hatten uns sogar verabredet. Wie schade, dass Jouri nicht in der Nähe war. Wenn ich ihn mit den bestellten Artikeln zu ihr geschickt hätte, wäre ich wahrscheinlich alle Probleme auf einen Schlag los gewesen.
    Im Zug beruhigte ich mich dank der hohen Geschwindigkeit wieder einigermaßen. Wir hielten in Schiedam, donnerten an Vlaardingen-Ost vorüber, vorbei an den Rückwänden der Fischhallen am Hauptbahnhof, und in einem Nu hatten wir Maassluis durchquert. Es erschien mir undenkbar, dass jemand seine Jugend in solch einem armseligen Kaff verbracht haben konnte, wo nur Trichterwinden sprossen und wo es nicht einmal einen Solex-Händler gab.
    Hoek van Holland. Die Konigin Juliana . Obwohl kaum Wind wehte, herrschte auf dem offenen Meer eine kräftige Dünung. Ich irrte über die Decks und sah an der Reling eine Frau in einem schönen langen Mantel stehen, der ihr bis zu den Knöcheln reichte. Im fahlgelben Licht der Schiffslampen glänzten ihre roten Locken. Sie war klein, stand aber so kerzengerade, dass sie in dem langen Mantel recht groß wirkte. Ich wollte ihr Gesicht sehen und schlenderte an ihr vorbei. Sie sah sich nicht um, sondern starrte auf die grauen Wogen. Ich stellte mich ein Stück entfernt an die Reling, beugte mich vor und versuchte, einen raschen Blick auf das von roten Locken umrahmte Gesicht zu werfen. Als aus dem grauen Dämmern ein Schwarm Strandläufer auftauchte, schaute sie kurz in meine Richtung.
    Verdammt, dachte ich, ich glaube, das ist Katja.
    Erneut schlenderte ich an ihr vorüber. Ich spitzte die Lippen und pfiff »Aus tiefer Not schrei ich zu dir«.
    Abrupt drehte sie sich um.
    »Katja«, sagte ich, »du hier? Fährst du nach England?«
    »Was für eine Frage«, erwiderte sie spöttisch, »wohin sollte ich mit diesem Schiff sonst fahren?«
    »Spielst du in London?«
    »So berühmt bin ich noch nicht. Nein, ich fahre für ein paar Tage zu meinem Bruder. Der wohnt im Süden von London. Ich passe auf die Kinder auf, damit er und seine englische Frau mal rauskommen. Und du?«
    Ich erzählte ihr von meinem Auftrag am parasitologischen Labor der Londoner Universität.
    »Mein Gott, schon wieder diese widerlichen Parasiten! Was du daran nur findest?«
    Fast ängstlich klammerte sie sich an die Reling und fragte dann schüchtern: »Warum haben wir so lange nicht mehr zusammen musiziert?«
    »Du spielst hundertmal besser als ich. Ich klimpere wie ein Holzhacker, du bist ein Profi. Das passt doch nicht zusammen! Der Niveauunterschied ist zu groß.«
    »Das hat mich nie gestört. Und du ... eine derart brillante Entdeckung ... ›Aus tiefer Not‹ in dieser h-Moll-Sonate  ... nicht einmal mein Lehrer hat das je erwähnt. Ich fände es schön, wenn wir wieder zusammen spielen würden. Hast du Lust, nächste Woche zum Essen zu kommen? Und anschließend spielen wir Bach.«
    »In Ordnung«, sagte ich, »ich gehe dann jetzt mal in meine Kabine.«
    »Ja, es wird Zeit, unter die Decke zu schlüpfen. Es ist wirklich schrecklich kalt hier.«
    Als ich in meiner Kabine lag, konnte ich nicht einschlafen. Aber das war nicht das Schlimmste; schlimmer war, dass jedes Mal, wenn ich mich streckte, ein leichtes Schmerzgefühl durch meinen Magen schoss, ähnlich dem, das man empfindet, wenn man auf einer Schaukel nach unten saust. Ich setzte mich aufrecht hin. Augenblicklich wurde der Schmerz geringer. Doch wirklich wohl fühlte ich mich nicht. Ich zog meinen Mantel wieder an und kontrollierte, ob das Röhrchen noch da war. Es befand sich noch an seinem Platz. Frische Luft würde mir guttun.
    Kühler Nieselregen fiel auf das Deck. Es störte mich nicht. Wie angenehm, die frische, kalte Außenluft zu atmen. Aufmerksam beobachtete ich die Wogen. Wenn ich wusste, wie sich das Schiff im nächsten Augenblick neigte, konnte ich mich darauf einstellen, und der Magen rebellierte nicht. Doch ganz gleich, wie peinlich genau ich die Wellen im Auge behielt, jedes Mal ging eine unerwartete Bewegung durch das Schiff, die sich mit erschütternder Gemeinheit meines Magens bemächtigte.
    Erst um drei Uhr in der Nacht musste ich spucken. Dass ich es so lange aushielt, ehe ich, um mit meinem Vater zu sprechen, »aus dem Mund schiss«, verdankte ich dem Umstand, dass ich draußen geblieben und die verdammten Wellen genau beobachtet hatte. Im Übrigen war ich nicht der Einzige, der seinen Mageninhalt über die Reling

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