Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
Vom Netzwerk:
unangenehm finstere Gänge, verwohnte Räume.
    Und in den Gängen begegnete ich Wissenschaftlern, die wie Müllmänner aussahen. Aber sie waren über die Maßen freundlich und zogen ihre Kaffeepause vor, weil ich Getreidekörner mit Kornkäfern brachte, die wiederum voller Mellitobia -Eier steckten.
    Als wir beim ekligen englischen Pseudokaffee voller Satz hockten, kamen Studenten mit kleinen Boxen herein, in denen allerlei Mücken tanzten. Jedem Mitarbeiter wurde eine solche Box auf den entblößten Unterarm gesetzt, »to feed the gnats«. Es war ein unvergesslicher Anblick: All die nackten Unterarme mit den darauf schwankenden Boxen, in denen sich ausgehungerte Mücken drängelten, um durch die dünne Gaze hindurch massenhaft in den Arm zu stechen.
    »Gibt es auch eine Box für mich?«
    »Yes, Sir, of course, Sir«, sagte ein Mädchen in Minirock mit Netzstrümpfen darunter. Auch hier gab es sie also! Das Mädchen ging fort und kam mit einer Box wieder, die auf meinem entblößten Unterarm befestigt wurde. Mannhaft ertrug ich die sich auf mich stürzenden Mücken.
    »Real Dutch blood. They like it immensely!«, wurde gerufen.
    Viele Jahre später, als ich, inzwischen selbst Parasitologe, das Laboratorium wieder besuchte, erinnerte man sich noch daran, wie ich bei meinem ersten Aufenthalt freiwillig die Mücken gefüttert hatte. Ohne mir damals dessen bewusst zu sein, hatte mir dies sehr viel Sympathie eingebracht, von der ich später profitierte.
    Die durchwachte Nacht und die Seekrankheit – mit den Mücken auf dem Arm kam mir dies wie ferne Vergangenheit vor. In meinem Leben habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass eine Nacht ohne Schlaf mich nicht sonderlich beeinträchtigt. Ich fühle mich danach zwar nicht wohl, kann aber all das tun, was ich sonst auch mache.
    Als ich, belebt vom vortrefflichen englischen Tee und ein wenig Blutverlust, mit einem anderen Röhrchen voller Getreidekörner im Mantelfutter wieder quer durch das Swinging London der Sechzigerjahre ging, hatte ich, ungeachtet der vergangenen Nacht, das Gefühl, die Welt erobern zu können.
    Im Schlepptau all der wunderbar aufgedonnerten Mädchen, die im noch recht warmen Novembersonnenlicht in den gewagtesten Kreationen über die Oxford Street paradierten, landete ich schließlich in der Carnaby Street. Das war die Apotheose. Überall Mädchen in wahnsinnigem Outfit, mit langen bunten Fingernägeln, in Geschäften, vor Schaufenstern, in den Ladeneingängen. Durch die Regent Street ging ich zurück zur Oxford Street. Es war einfach zu viel, dort in der Carnaby Street.
    Ich machte mich auf die Suche nach einem Geschäft, wo ich Eyelure für Tina kaufen konnte. Gab es solche Dinge in einer Drogerie? Dann sah ich ein Schaufenster, auf dem mit Riesenlettern das Wort »Sale« stand. In der Auslage entdeckte ich allerlei künstliche Fingernägel und Wimpern, stark verbilligt. Für einen Shilling bekam man drei Sätze Eyelure und einen Streifen künstliche Wimpern, der einen Meter lang war. Von dem Streifen musste man, wie mir die Verkäuferin in beinahe unverständlichem Cockney erklärte, zwei passende Stückchen abschneiden und auf die Augenlider kleben. Sie selbst hatte das auch gemacht und sah phantastisch aus. Bei ihr kaufte ich auch ein paar Schlaftabletten. In einer Bäckerei besorgte ich mir noch zehn weiße Brötchen, die ich im Zug nach Harwich mit einem Becher englischen Tees verputzte.
    Als wir ablegten, war das Meer vollkommen ruhig. Dennoch schaukelte das Schiff, als ob kräftiger Seegang herrschte. Ich ging aufs Achterdeck und versuchte, die nächste Bewegung vorauszuberechnen. Am schlimmsten waren die kleinen seitlichen Stöße. Auch wenn das Schiff sich plötzlich über den Bug senkte, machte mir das sehr zu schaffen.
    Katjas Tablette gegen Seekrankheit beruhigte mich zwar, doch leider hatte ich den Eindruck, dass sie mich nicht ausreichend gegen plötzliches Schaukeln des Schiffs wappnete. Schweren Herzens schluckte ich also auch noch eine Schlaftablette. Eigentlich lehne ich derartige Mittel ab, aber der Gedanke an eine weitere schlaflose Nacht an der Reling verursachte mir großes Unbehagen. Ich schlief tatsächlich ein. Als ich jedoch um vier Uhr aus dem Schlaf schreckte, war ich sofort so hellwach, dass für die restliche Nacht an Schlaf nicht mehr zu denken war.
    Ich ging an Deck. Das Schiff stampfte und schlingerte. Als ich in der grauen Morgendämmerung in der Ferne bereits undeutlich die Küste sah, übergab ich die

Weitere Kostenlose Bücher