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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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gern deine Katja kennenlernen, aber gleich kommt noch jemand bei mir vorbei. Können wir nicht was verabreden? Morgen, zu dritt, beim Chinesen essen? Wie wär’s mit Woo Ping ?«
    »Katja achtet sehr genau darauf, was sie isst«, erwiderte ich. »Die kriegst du in kein chinesisches Restaurant, weil sie Angst hat, im Babi Pangang könnte Katzenfleisch sein. Vielleicht hast du ja Lust, hier mit uns zu essen.«
    »Oh ja, gern.«
    »Allerdings glaube ich nicht, dass morgen ... lass mich das Ganze erst mit Katja besprechen, du hörst dann von mir. Wo kann ich dich erreichen? Hast du dein Stegzimmer auf der Hogewoerd wieder beziehen können?«
    »Nein, das Zimmer bin ich los. Ich wohne jetzt auf dem Hoge Rijndijk. Fürs Erste, glücklicherweise kann ich bald auf der Uiterste Gracht einziehen. Ich gebe dir die Nummer des Hauses auf dem Hoge Rijndijk, dann kannst du mich dort anrufen.«
    Und dort rief ich ihn dann nicht an. Allein schon durch die Tatsache, dass er so leichthin das Woo Ping vorgeschlagen hatte, war mein Misstrauen wieder geweckt worden.
    Trotzdem war mir natürlich klar, dass er Katja irgendwann kennenlernen würde, daran führte nun mal kein Weg vorbei.
    Dennoch verschwieg ich Katja, als sie später am Abend todmüde nach Hause kam, dass Jouri da gewesen war. Obwohl ich der Überzeugung war, dass es besser wäre, wenn ich sie so genau wie möglich über Jouri informierte, schien mir Schweigen vorerst die bequemere Lösung zu sein. Hinzu kam noch, dass ich immer noch nicht wusste, wie ich ihr das alles erzählen sollte. Wie fand ich den richtigen Ton? Allzu leicht konnte meine Geschichte larmoyant oder unwahrscheinlich klingen.
    In den zwei Monaten bis zu Jouris Hochzeit schaffte ich es, Katja nicht in seine Nähe kommen zu lassen. Einfach war das nicht, doch da er das Weberhaus auf der Uiterste Gracht renovieren und einrichten musste und daher schrecklich wenig Zeit hatte, gelang es mir jedes Mal, eine Verabredung zu verhindern. Weil ich handwerklich sehr geschickt bin, half ich Jouri so oft wie möglich. Ich liebe es, zu spachteln, anzustreichen, zu tapezieren, zu schreinern, und er war über meine Hilfe sehr froh, denn das Häuschen auf der Uiterste Gracht erforderte einen hohen Einsatz von Hand- und Spanndiensten.
    Als das Weberhaus einigermaßen bewohnbar war, tauchte ein anderes Problem auf: Nehme ich Katja mit nach Vlaardingen zur Hochzeit? Schon erklang der verzweifelte Ruf in meinen Ohren: »Was soll ich um Himmels willen bloß anziehen?« Zum Glück konnte sie an der Musikschule nicht einfach so einen Tag freinehmen, und so kam es, dass ich Ende November allein nach Vlaardingen fuhr.
    Zuerst war ich Trauzeuge und anschließend Organist. In der Pniëlkirche. Ich hatte eine Schwäche für das inzwischen leider wieder abgerissene Gotteshaus, denn dort hatte man die logistischen Probleme des Heiligen Abendmahls sehr vernünftig gelöst. An jedem Sitz war ein kleiner Becher montiert, in den vorab der Abendmahlswein eingeschenkt wurde. Auch für die Weißbrotstücke gab es eine Ablagemöglichkeit, sodass die Gemeinde im Handumdrehen erst ein Stück Brot und anschließend einen Schluck Wein zu sich nehmen konnte. Auf diese Weise ging das Mahl mit dem Herrn in Rekordzeit über die Bühne.
    Leider hatte die dortige Verschuren-Orgel einen ziemlich schiefen und schrillen Klang. Als ich jedoch, beim Anblick der strahlenden, bildschönen Braut erneut innerlich zutiefst bewegt, aus tiefster Not in die Tasten griff und als Vorspiel zum Psalm 43 improvisierte, da zauberten meine Finger trotz allem und ganz unerwartet eine wunderschöne, fröhliche, muntere Melodie hervor. Es war, als müsste das Thema, das so gar nicht meinem Seelenzustand entsprach, in erster Linie mir selbst Mut zusprechen. Oh, welch ein Fest, denn der Klingelbeutel wurde ausführlich herumgereicht, sodass ich lange improvisieren durfte. »Oh Seele mein, was trauerst du so tief betrübt und sorgenvoll ob der Bestimmung, die dir dein Schöpfer gibt.«
    Trauer und Sorge, gewiss, die waren vorhanden, jedoch fröhlich hochgejazzt, und zwar von einem, der nichts lieber wollte als jammern, weinen, brüllen. Wie war das bloß möglich? Oder ist es umgekehrt: dass die Musik, die jemand hervorbringt, umso strahlender ist, je schlechter es ihm geht? Hatte Mozart nicht in der Zeit, als sein Vater starb, das Stück Ein musikalischer Spa ß komponiert? Aber von Spaß konnte in meinem Fall keine Rede sein. Was meine flinken Finger und meine etwas weniger

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