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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marten t Hart
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hast vielleicht einen Buckel oder du schielst, weil er dich nicht einmal seinem besten Freund vorstellen wollte. Jetzt verstehe ich seine Geheimniskrämerei. Mit einem Kronjuwel protzt man nicht, das hält man hinter Schloss und Riegel.«
    Weil es mir unangenehm war, dass Katja seine ausgestreckte Hand ignorierte, ergriff ich sie und schüttelte sie herzlich. Daraufhin konnte Katja nicht zurückstehen, und auch sie gab Jouri kurz die Hand.
    »Wir müssen dann mal wieder«, sagte ich.
    »Aber nicht, ohne vorher einen Termin ausgemacht zu haben«, sagte Jouri. »Ein Essen an der Uiterste Gracht zum Beispiel. Frederica würde sich freuen, sie kennt hier praktisch niemanden und hat kaum zu tun. Sie hat also genügend Zeit, ein opulentes Mahl vorzubereiten.«
    »Ich unterrichte abends immer«, sagte Katja harsch.
    »Auch samstags und sonntags?«
    »Nein, dann nicht.«
    »Wie wäre es also mit nächstem Samstag?«
    »Da kommen mein Bruder und seine Frau aus England zu Besuch«, erwiderte Katja.
    »Und das Wochenende danach?«
    »Da ist schon Weihnachten«, warf ich ein.
    »Du sagst es«, meinte Jouri enttäuscht. »Dann müssen Frederica und ich natürlich an der Binnensingel dinieren, unter dem Rauch der ewigen Flamme von Pernis. Daran führt kein Weg vorbei. Und zu meinen Eltern muss ich auch. Solex Deo Gloria. Und anschließend fährt Frederica mit ihren Eltern zum Skilaufen nach Österreich ... oh, oh, es soll wohl nicht sein ... Hoffentlich klappt es danach einmal.«
    »Wir vereinbaren dann später mal was«, sagte ich.
    »Gut«, erwiderte Jouri, »ich muss jetzt schnell weiter zur Sternwarte, zum Kolloquium der wissenschaftlichen Mitarbeiter. Ich halte dort einen Vortrag über die höhere Mathematik des sich ausdehnenden Alls.«
    »Glaubst du, das Weltall dehnt sich aus?«
    »Seit Hubble ist das eine allgemein akzeptierte Tatsache.«
    »Aber worauf beruht die Evidenz dieser These? Auf der Rotverschiebung? Die könnte man doch auch anders interpretieren.«
    »Komm mit. Stell deine Einwände zur Diskussion.«
    »Ein andermal gern. Wenn du mich fragst, dann ist die Big-Bang-Theorie nichts anderes als die wissenschaftliche Variante der Genesisgeschichte. Irgendein belgischer Priester hat sie sich ausgedacht, sie ist Religion unter dem Deckmantel der Astronomie.«
    »Kümmere du dich lieber erst einmal um die Evolutionstheorie. Dagegen ist auch noch dies und jenes einzuwenden. Macht’s gut, ich muss weiter.«
    Er warf noch einen letzten Blick auf Katja und schlidderte dann weiter über das Pflaster im Kloksteeg.
    »Das ist also Jouri«, sagte ich.
    »Dein Jugendfreund aus Vlaardingen, auf dessen Hochzeit du Orgel gespielt hast?«
    »Genau.«
    »Jouri. Hübscher Name!«
    »So heißt er eigentlich nicht, er ist nach Hitler und Goebbels benannt und heißt Adolf Josef. Nach dem Krieg haben seine Schwestern den Namen Josef in Jouri geändert.«
    Warum sagte ich das? Wollte ich ihn in ihren Augen gleich verdächtig machen? Wollte ich ihn schon im Voraus schmähen?
    Katja beachtete meine überflüssige Bemerkung nicht weiter und sagte nur: »Netter Mann. Schöne Augen.«
    »Die konntest du im Dunkeln gar nicht sehen.«
    »Oh doch, das Licht der Straßenlampe fiel darauf. Hellbraune Augen mit grünen Pünktchen darin. Sehr schön.«
    »Er ist ein verschlagener Charmeur«, sagte ich gereizt.
    »Ja, aber er hat mich tatsächlich ein Kronjuwel genannt«, und sie summte leise Ihr Blümlein alle von Franz Schubert.
    Während sie, plötzlich gut gelaunt, zügig neben mir weiterging und unbekümmert summte, stampfte ich mit beiden Füßen auf das Kopfsteinpflaster, um den aufkommenden Groll zu bekämpfen. Im Pieterskerkchoorsteeg kam, immer noch in fahlrotes Licht getaucht, eine Frau aus der Breestraat und ging in unsere Richtung. Das hat mir gerade noch gefehlt, dass die mir ausgerechnet jetzt über den Weg läuft, dachte ich verbittert.
    Auf hohen Absätzen schwankte sie über das weiße Kopfsteinpflaster auf uns zu. Sie stieß mit mir zusammen und hielt sich, um nicht hinzufallen, an mir fest. Ich stieß sie so heftig weg, dass sie gegen eine Hauswand torkelte.
    Das Schlampenexamen würde sie nun mit Auszeichnung bestehen, dachte ich, als ich mich kurz nach ihr umsah. Im spärlichen Straßenlampenlicht, das die fahlrote Dämmerung kaum erhellte, sah sie aus wie die Hexe aus Humperdincks Hänsel und Gretel . Sie krümmte die Finger einer Hand, sodass ihr grotesker Schatten auf der weißen Hauswand erschien. Wegen der langen

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