Schneegeflüster
tomatenrot gepinseltes Holzhäuschen mit weißen Fensterläden steht. Ich werde neidisch. Seit ich denken kann, habe ich mir gewünscht, so zu wohnen. »Sie können mich ja mal besuchen, wenn Sie sich … äh, wenn wir uns hier eingelebt haben«, schlägt Quirin vor.
»Gern!«, antworte ich. Aber erst, wenn ich meine Familie wiedergesehen und mit meinen drei Ehemännern ein Arrangement getroffen habe, mit dem wir alle leben können.
»Dann lasse ich Sie jetzt allein. Sie sind bestimmt müde. Und wie gesagt: Es tut mir unendlich leid! Was auch immer ich tun kann, um es wiedergutzumachen, werde ich tun - sofern es in meiner Macht steht!«
Ich murmle: »Schon gut, wir werden sehen«, und verabschiede Quirin in die klare Nacht. Schon seltsam, zwischen den Sternen herumzustehen, den Mond in greifbarer Nähe.
Wie er sich wohl anfühlt? Heiß? Oder eher kalt?
Ich beschließe die Erforschung dieser Frage zu vertagen, denn für heute hatte ich Aufregung genug. Doch die viel zitierte himmlische Ruhe scheint mir immer noch nicht vergönnt zu sein.
Es klingelt schon wieder an der Tür.
Diesmal ist es Big Boss, der mir »etwas zeigen« möchte.
Ich folge ihm ohne zu murren zu einem Bergplateau (fragen Sie mich jetzt bitte nicht, wo das auf einmal herkommt!), auf dem ein großes Fernrohr eingemauert ist. Big Boss bedeutet mir, durch den Sucher zu schauen, und ich befolge artig seine Anweisung. Schlafen kann ich ja später immer noch. Neugierig linse ich durch den Sucher und lande - in Annes Wohnzimmer.
Meine beste Freundin sitzt weinend auf dem Sofa, neben ihr ein äußerst attraktiver Mann in Uniform. »Ist das der Polizist, der sie über meinen Tod informiert hat?«, frage ich Big Boss, der wieder einmal milde lächelt. »Ja, das ist er. Annes Tröster und bald schon ihr neuer Ehemann. Die beiden werden sehr glücklich und bekommen drei Kinder. Aber schauen Sie selbst!« Ich schwenke den Sucher einen kleinen Tick nach rechts. Und tatsächlich: Ich sehe Anna und den Polizisten vor dem Traualtar. Noch einen Tick weiter im Krankenhaus bei der Geburt ihrer ersten Tochter und dann bei der Taufe. Das Mädchen bekommt den Namen Katja.
Tränen der Rührung schießen mir in die Augen.
Doch trotz der Trauer über meinen Tod und darüber, dass ich das alles nicht mehr miterleben darf, bin ich vor allem eins: glücklich. Glücklich für meine liebste, beste Freundin. Sie hat sich immer einen liebenden Ehemann und Kinder gewünscht.
»Danke, dass Sie mir das gezeigt haben«, flüstere ich und bringe das Fernrohr wieder in seine ursprüngliche Position. »Und jetzt würde ich wirklich gerne schlafen gehen.« Big Boss nickt verständnisvoll und verabschiedet sich. Ich gehe noch ein bisschen spazieren, denn es gibt viel nachzudenken. Auf dem Nachhauseweg komme ich an einem Park vorbei, wo ich hinter einem Baum leises Kichern höre. Als ich näherkomme, sehe ich zu meinem Erstaunen Alexander und ein hübsches Mädchen. Die beiden küssen sich leidenschaftlich.
Ich versuche das leise Ziehen in meiner Herzgegend zu ignorieren und gehe einfach weiter. Jetzt verstehe ich, weshalb Alexander es vorhin so eilig hatte!
In mir keimt ein Verdacht auf: Was, wenn alle drei sich im Himmel neu verliebt haben? Wenn ich es genau betrachte,
war keiner von ihnen wirklich begeistert, mich zu sehen. Die Blumen und das Marzipan waren vielleicht eher so etwas wie eine Geste der Entschuldigung …
Als ich endlich, endlich im Bett liege, beschließe ich, Alexander, Daniel und Thomas so bald wie möglich mit meiner Vermutung zu konfrontieren und sie zu bitten, mir die Wahrheit zu sagen. Ich verspreche mir selbst, ihnen nicht böse sein - schließlich habe ich zu Lebzeiten auch wieder geheiratet, nachdem die größte Trauer vorbei war.
Am nächsten Morgen erwache ich erstaunlich frisch und gut gelaunt. Seltsamerweise habe ich von Quirin geträumt.
Quirin , schmunzle ich. Was für ein merkwürdiger Name!
Ich muss ihn unbedingt fragen, wie seine Eltern auf die Idee gekommen sind, ihn so zu nennen.
Nach einer Dusche und einem opulenten Frühstück (irgendwer hat mir netterweise Rührei mit Tomate, Toast, Kaffee und frisch gepressten Orangensaft gemacht) trete ich vor die Tür und begrüße den neuen Tag.
Meinen ersten Tag als Tote im Himmel.
Fühlt sich gar nicht so schlecht an , denke ich und freue mich auf das Wiedersehen mit meiner Familie, das Big Boss aber leider erst für morgen angekündigt hat.
Von irgendwelchen Aufgaben war bislang noch
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