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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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arbeiten, wenn sie so überempfindlich wurde. Annie, mit der sie schon ewig befreundet war, hatte ihr auf den Anrufbeantworter gesprochen, als sie nicht zum gemeinsamen Yoga erschienen war. Sarah hatte noch nicht zurückgerufen. Das Yoga, selbst das Gespräch mit Annie war zu anstrengend. Sie brauchte die wenige Energie, die ihr noch blieb, für die Abendschichten im Hotel. Und nun kamen ihr fast die Tränen, nur weil sie ein glückliches Liebespaar im Aufzug sah.
    Sie betrat den kurzen düsteren Gang, der zu der alarmgesicherten Feuertreppe führte. Nur wegen Carl war sie noch hier. Wäre er nicht so plötzlich in ihrem Leben aufgetaucht, hätte sie sich schon längst bei Steiner krankgemeldet.
    Carls Zimmer lag in dem Teil des Hotels, der der großen Renovierung vor ein paar Jahren entgangen war. Die silberne Neun in der Zimmernummer hing schief, und Sarah rückte sie zurecht. Sie klopfte vorsichtig an. Nichts rührte sich, und sie klopfte lauter. Vorne im Gang gingen die Aufzugstüren, doch im Zimmer war nichts zu hören.
    »Carl?«, rief Sarah leise und klopfte wieder.
    Nichts.
    Kurz schaute sie hinüber zum Aufzug und lauschte, ob sie Schritte hörte. Alles war still, der Gang menschenleer. Sie holte den Hauptschlüssel aus ihrer Jacketttasche und sperrte auf.
    Eine staubige Dunkelheit empfing sie. Sarah musste sofort husten. Sie tastete nach dem Lichtschalter, dann zog sie die Tür hinter sich zu. In Carls Zimmer schien die Zeit
stehengeblieben zu sein: Schwere Vorhänge verhüllten das Fenster, zwei Ohrensessel standen vor einem zugemauerten Kamin. Den größten Teil des schmalen Zimmers nahm ein altmodisches breites Bett aus schwarz gebeiztem Holz ein. So ein Möbel hätte Sarah im Hotel nicht erwartet, wo Steiner doch so auf Modernität bedacht war. Es musste ein Erbstück von Carl sein, anders war diese Monstrosität nicht zu erklären. Ein leichter, frischer Geruch wie nach dunkler Walderde lag in der Luft.
    Es musste sich doch etwas finden lassen, das ihr mehr über Carl verriet - Familienfotos, Bücher, irgendetwas. An der Wand neben der Tür stand ein Rollsekretär. Sarah schob den Deckel hoch, doch der Sekretär war fast leer. Ein teurer Füller lag in einem Etui, daneben dickes Briefpapier, auf das Carls Name und die Adresse des Hotels gedruckt war. Eine zerknitterte Fünfzig-Euro-Note steckte in einem Fach, mit einem Papierclip war die Visitenkarte einer Blutbank daran geheftet.
    In einer Schublade fand Sarah eine uralte Bibel, die fast auseinanderfiel, als sie sie herausholte. Sie war in einer ihr unbekannten Sprache verfasst, vermutlich Rumänisch. Hinten waren die Geburten, Hochzeiten und Todesfälle in der Familie Zápolya eingetragen, zuletzt die Geburt eines Jungen im Jahr 1806. Er war auf den Namen Carol Géza Zápolya getauft worden. Sarah fuhr mit der Fingerspitze über die verblichene Tinte. Wahrscheinlich war Carl nach diesem Vorfahr benannt worden. Doch niemand hatte die Einträge in der Familienbibel fortgeführt.
    Alle anderen Schubladen waren leer. Auch im Kleiderschrank fand sie nichts Besonderes - Anzüge, Pullover, Unterwäsche, Krawatten. Der Papierstreifen des hoteleigenen
Bügeldienstes war noch nicht von den Hemdenstapeln entfernt worden. Im Nachttisch lag nur eine völlig veraltete Preisliste des Hotels.
    Am Bett wurde der Geruch nach Erde stärker. Unter dem Bett entdeckte Sarah einen großen, dunklen Kasten, der an einen altertümlichen Reisekoffer erinnerte. Wieder musste sie husten. Sie presste sich ein Taschentuch vor den Mund, hoffentlich hörte sie niemand draußen im Gang. Da knallte etwas gegen die Zimmertür. Hastig schaute sie sich nach einem Versteck um. Nie im Leben würde sie Carl ihre Schnüffelei erklären können. Und Steiner schon gar nicht, wenn er je davon erfuhr.
    Aber niemand kam ins Zimmer. Sarah schlich zur Tür, da hörte sie das knarrende Rollen eines Putzwagens, den jemand fröhlich summend den Gang entlangschob. Vor Erleichterung sackte sie gegen die Tür.
    Sarah war so nervös, dass sie am liebsten die Treppe hinuntergerannt wäre, doch sie nahm den Aufzug. Carl benutzte immer nur die Treppe, und Sarah wollte ihm nicht in die Arme laufen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie hatte kein dunkles Geheimnis entdeckt, keinen Hinweis darauf, wer Carl war und wie es ihn ins Hotel Steiner verschlagen hatte. Sarah seufzte, als der Aufzug in der Lobby ankam. Normalerweise war sie keine so hoffnungslose Romantikerin. Doch Carl löste etwas in ihr aus, das

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