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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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Vor ein paar Tagen hatte ihr ein »unbekannter Verehrer« einen prachtvollen Strauß roter Rosen überbringen lassen. Auch eine gute Tat, die aber nicht auf dem Adventskalender vermerkt war. Ihr Husten war so schlimm geworden, dass sie morgens zum Arzt gegangen war, der sie zur x-ten Strahlentherapie gedrängt hatte. Sie hatte abgelehnt. Als sie danach ins Hotel kam, wollte Pauline sie gleich wieder nach Hause schicken. Doch Sarah blieb, sie hatte sich im Büro versteckt und dort Rotz und Wasser geheult, bis auf einmal Arlo mit den Rosen vor der Tür stand.
    »Nichts Besonderes«, sagte Sarah zu Carl, der auf den Kalender starrte, wo hinter einem schneeberieselten Tannenzweig Tina & Hatice: Brand gel… stand. Sie nahm das Ö und steckte es auf die Leiste. »Ich möchte früh ins Bett gehen.«
    »Darf ich Sie zu einem Schlaftrunk in die Bar einladen?«
    Sie hatte Carl nie nach den Rosen gefragt, und er hatte nie etwas gesagt. Doch sie waren von ihm, Sarah wusste es genau. Vierundzwanzig samtige, tiefrote Knospen, von denen sich jeden Tag mehr öffneten. Kopf hoch, Kleines , hatte auf der Karte gestanden. Sarah waren Humphrey Bogart und Schwarz-Weiß-Filme aus den Fünfzigerjahren in den Sinn gekommen, obwohl die Worte in einer altmodischen Sütterlinschrift geschrieben waren.
    »Nur eine halbe Stunde. Ich habe bei Steffen einen ganz speziellen Cocktail für Sie in Auftrag gegeben.«

    Carls Stimme klang weich, und sie spürte seinen Körper neben sich, während sie nacheinander die Buchstaben S, C, H und T auf die Leiste steckte. Er war mindestens anderthalb Köpfe größer als sie, eine ruhige, männliche Präsenz. Als sie sich umdrehte, streiften seine Finger ihre Hüfte. Die kurze, kühle Berührung war alles andere als beiläufig. Sarah vergaß für einen Moment das Atmen.
    »Ich trinke keinen Alkohol«, sagte sie leise und konnte den Blick nicht von seinem Hals abwenden, wo die Haut so weiß war, dass sie im Neonlicht der Lobby bläulich schimmerte. Hatte sie ihn eigentlich jemals bei Tageslicht gesehen?
    »Ich weiß.« Carl blinzelte ihr spitzbübisch zu. »Es ist ein alkoholfreier Cocktail.«
     
    Es wurde zu ihrem Feierabendritual: Sarah schloss das Büro ab, holte die Schachtel mit den Buchstaben von der Rezeption, und während sie den Adventskalender mit einer weiteren guten Tat bestückte, erschien Carl und lud sie in die Hotelbar ein. Jeden Abend verführte er sie zu einer neuen Kreation mit Granatapfel- oder Blutorangensaft, Aprikosen- oder Zimtsirup. Er selbst bestellte ein Glas Rotwein, an dem er den ganzen Abend nippte und das am Ende immer noch fast voll auf dem Tresen stand. Sarah witzelte, dass er einer spartanischen Sekte angehören müsse, doch Carl lächelte nur und redete über seine Reisen in der Türkei und über Rumänien, wo er aufgewachsen war. Und vor allem stellte er Fragen - nach ihrem Leben, ihrer Wohnung, dem Job im Hotel. Und dazwischen Fragen nach persönlicheren Dingen, die verrieten, wie genau er sie beobachtete. Warum setzen Sie sich immer links von mir an die Bar? Woher stammt die Perlenkette, die Sie tragen? Und immer wieder: Wie geht es Ihnen?

    Bereits am ersten Abend erzählte sie ihm von dem Nachmittag im Schwimmbad, als sie ins Becken gefallen war. Von den stillen blauen Sekunden unter Wasser, von denen sie heute noch träumte, und dass sie einen Hörschaden im rechten Ohr davongetragen hatte. Sarah konnte sich nicht erinnern, jemals einem Mann, der kein Arzt war, davon erzählt zu haben. Schon gar nicht einem attraktiven Mann, der ihr rote Rosen schenkte und sie jeden Abend zu einem teuren Cocktail einlud. Doch bald sprach sie sogar von Großmutter Irmi, die eigentlich gar nicht mit Sarah verwandt gewesen war, sie aber praktisch aufgezogen hatte. Zu ihrem vierzehnten Geburtstag hatte Irmi ihr die Perlenkette geschenkt, kurz darauf war sie gestorben. Max hatte Sarah erst davon erzählt, als sie schon lange miteinander schliefen.
    War Carl verliebt ihn sie? Wollte er mit ihr schlafen? Nachts, wenn sie vom Hotel nach Hause kam, stand Sarah im Mantel auf ihrem Balkon und starrte auf die winterlich stille Stadt. Sie konnte noch Carls Blick auf sich fühlen, wie er ihn über ihren Nacken, ihre Brüste, die übereinandergeschlagenen Beine gleiten ließ. Im Dämmerlicht der Bar, wenn sie eng nebeneinander am Ende der Theke saßen, berührte er sie oft wie zufällig. Und doch hatte Sarah das Gefühl, dass Carl sich zurückhielt. Vielleicht waren es die Hustenanfälle, die sie

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