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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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nicht gerechnet. Er war ein hübscher Kerl gewesen, Natalie schielte rüber, versuchte ihn von unten zu fixieren, aber mit der Schärfe klappte es nicht mehr recht, ihr wurde wieder schwindelig. »Ich kann nicht glauben, dass du …«, begann sie, brach aber ab. Es war alles so absurd, was gab es da noch zu reden?
    Paul hatte sie nicht zur Tür gebracht. Kein Wort des Abschieds, kein Überreichen der Versicherungskarte, nichts. Die kalte Luft tat gut. Oliver hatte einen alten weißen Notarzt-Golf vor der Tür stehen, er kurbelte als Erstes das Beifahrerfenster herunter, stellte dann die Lehne ein wenig nach hinten und half ihr hinein. Natalie schloss die Augen, sie hörte, wie Oliver neben ihr einstieg.
    »Falls du dich übergeben musst, sag mir früh genug Bescheid, dann halte ich an. Das Fenster ist ja offen. Ich habe nur keine Lust, dass der Fahrtwind alles ins Auto weht.« Dann ließ er den Motor an und verfiel für den Rest der Fahrt in Schweigen.
    Oliver Brandtstätter, das war eine Liebe gewesen. Kurz, heftig, studentisch. Dann hatten sie sich tatsächlich aus den Augen verloren. Die ZVS war schuld gewesen - neuer Studiengang, neuer Studienort.
    Der weiße Golf fuhr jetzt auf der Landstraße. Etwa eine Viertelstunde Fahrt war es bis zum Kreiskrankenhaus. Natalie wusste genau, wo es lag - sie war mehrmals mit Renate hingefahren, wenn deren Blutdruck wieder einmal erschreckend hoch war.
    »Driving home for Christmas«, sang Chris Rea im Radio.
Natalie hielt den Kopf so, dass sie den Fahrtwind spüren konnte. Die Kälte tat gut. Sie machte nüchtern.
    Noch immer kein Wort.
    Mit geschlossenen Augen spürte Natalie, wie Oliver langsamer fuhr, abbog und einparkte. Das Schild »Notarzt-Parkplatz« war das Erste, was sie sah. Dann wurde ihr richtig übel, der plötzliche Stillstand machte ihr zu schaffen. Sie fand den Türgriff, sprang aus dem Auto und übergab sich in den nächsten Busch.
    »Na super«, sagte Oliver hinter ihr und hielt ihr ein Taschentuch hin.
    »Tut mir leid, wie peinlich«, murmelte Natalie.
    »Das jetzt muss dir nicht peinlich sein, das sehe ich jeden Tag. Dein Körper reagiert ganz gesund und entgiftet sich. Das davor allerdings, das kann einem schon peinlich sein - erst den Notarzt zu rufen, damit er deine Schwiegermutter abholt, dann ihr Wohnzimmer zu verwüsten und am Ende nach einer Flasche Eierlikör betrunken unterm Tannenbaum - was war das eigentlich für eine komische Decke?« Oliver führte Natalie sanft auf ein großes rotes Kreuz zu: die Notaufnahme. Die automatische Tür öffnete sich.
    »Ein jüdischer Hochzeitsbaldachin aus Shanghai«, sagte Natalie.
    Die Notaufnahme schien leer zu sein, rechts im Schwesternzimmer saßen zwei Frauen und tranken Kaffee. Sie betrachteten Natalie, eine Frau, die offensichtlich einen im Tee hatte, mit mäßigem Interesse.
    »Hallo, ich gehe gleich weiter in Raum drei. Haben wir irgendwo noch eine frische Zahnbürste? Ich glaube, die Patientin könnte sie brauchen.« Unwillig stand eine der
Schwestern auf, sie musste Ende zwanzig sein, und reichte dem Arzt eine Packung mit Zahnbürste samt kleiner Zahnpastatube. »Danke«, sagte Oliver und brachte Natalie in Raum drei.
    Sie putzte sich lange die Zähne. Das tat gut. Oliver lehnte an der Liege und beobachtete sie.
    »Das ist also dein Heiligabend«, sagte er, nachdem sie den Mund ausgespült hatte.
    »Deiner ist auch nicht gerade toll«, gab Natalie zurück. Sie betrachtete ihn - das ging jetzt wieder ganz gut. Eigentlich war sie inzwischen ziemlich nüchtern.
    Oliver sah noch fast so aus wie vor zehn Jahren. Lockige Haare, halblang. Ein schönes Gesicht, besonders die edle Hakennase hatte sie immer gemocht, und ein dauerironisches Lächeln um die Lippen. Seine Hände hatte er vor der Brust verschränkt, kein Ehering, soweit Natalie sehen konnte.
    »Wer in aller Welt lässt sich Heiligabend zum Dienst einteilen?«, fragte Natalie.
    »Wer in aller Welt zerlegt an Heiligabend das Wohnzimmer seiner Schwiegermutter?«, fragte Oliver zurück.
    Natalie musste grinsen. »Die alte Hexe hat meiner Tochter ein oberhässliches Playmobil-Puppenhaus geschenkt. Welche verantwortungsvolle Mutter würde da nicht ausflippen?«
    Oliver lachte laut auf. Dieses Lachen. Wie hatte sie es vergessen können.
    »Willst du einen Kaffee?«, fragte er.
    »Krankenhauskaffee? Lieber nicht.« Natalie zögerte. »Ich glaube, ich sollte jetzt besser gehen.«
    »Aber nicht, bevor du mich angehaucht hast.«

    »Wie bitte?«
    »Ärztlicher

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