Schneegestöber (German Edition)
ihnen gesellt, und gemeinsam besprachen sie die Pläne für die kommenden Festtage. Bei dieser Gelegenheit erinnerte sich Mrs. Aldwin an all die Weihnachtsfeiern, die sie in den letzten Jahren in den verschiedenen ersten Häusern des Landes verbracht hatte. Sie ließ, wie unabsichtlich, die Namen bedeutender Persönlichkeiten in ihre Erzählungen einfließen und zählte weitschweifig die einzelnenGänge des Festmenüs auf, das Lady Addlethorpe im letzten Jahr aufgetischt hatte.
St. James hätte sie am liebsten aufgefordert, endlich den Mund zu halten. Er wußte selbst nicht, warum er derart gereizt war. Und doch war er in diesem Augenblick Mr. Finch geradezu dankbar, als dieser mit düsterer Stimme verkündete, daß Völlerei ein Werk des Teufels sei. Damit war Mrs. Aldwin für kurze Zeit zum Schweigen gebracht.
Ihr Gemahl und Viscount Bakerfield nutzten den kurzen Augenblick der Stille, um ihr Gespräch über den Neubau eines Pferdestalls wieder aufzunehmen. Ein schier unerschöpfliches Thema für die beiden, dem St. James ebenso nicht das geringste abzugewinnen vermochte. Auf dem kleinen Sofa saß Paulina Aldwin und schwieg. Ihre Stickerei lag achtlos auf ihren Knien, und ihre einzige Beschäftigung bestand darin, ihm kokette Blicke zuzuwerfen, sobald sich sein Blick in ihre Richtung verirrte.
Dumme Gans, dachte er mit sichtlichem Mißvergnügen. Es war zu offensichtlich, daß Paulina in der Zwischenzeit wußte, wer er in Wirklichkeit war. Und nun versuchte sie mit allen Mitteln, ihre Ablehnung vom Vortag wiedergutzumachen. Doch er dachte nicht im Traum daran, ihr die Freude zu machen und sie tatsächlich mit einem Antrag zu beehren. Einmal war er knapp an dieser Dummheit vorbeigeschlittert. Das war ihm mehr als eine Lehre. Im hinteren Teil des großen Raumes saßen Silvie und ihr Verlobter, ein blasser junger Mann mit kurzgeschnittenen rötlichblonden Haaren. Sie hatten das Schachspiel vor sich autgestellt, doch es schien, als wären sie eher in ein amüsantes Gespräch denn in das Spiel vertieft. Hätte St. James diese idyllische Zweisamkeit stören und sich zu ihnen setzen sollen?
Er schnappte sich den Morning Chronicle von dem kleinen Tischchen an der Wand und ließ sich in den breiten Lehnstuhl zwischen den beiden hohen Spitzbogenfenstern fallen. Lustlos blätterte er in der Zeitung. Wenn Lornerly wenigstens hier wäre. Oder Kitty. Er hatte heute nachmittag ein interessantes Gespräch mit seinem ehemaligen Mündel geführt. Und er war zur Ansicht gelangt, daß seine gute Schwester Jane Kitty falsch beurteilt hatte. Das Mädchen war eineintelligente kleine Person, und Lornerly konnte man zu seiner Braut nur beglückwünschen. Wo Mary Ann so lange blieb? Kitty hatte ihm erzählt, daß sie heute Geburtstag hatte. Und er hatte noch gar nicht Gelegenheit gehabt, ihr zu gratulieren. Er hatte nicht einmal ein Geschenk für sie. Wie gerne hätte er sie mit irgendeiner kleinen Kostbarkeit verwöhnt. Doch hier, auf Bakerfield-upon-Cliffs, eingeschneit, fern von jeder Stadt, da war es natürlich ausgeschlossen, daß er ihr etwas besorgen konnte.
In diesem Augenblick ging die Tür auf, doch es war nicht Mary Ann, die eintrat, sondern Viscount Lornerly mit seiner frisch angetrauten Gemahlin. St. James hatte seinem Freund Abendkleidung zur Verfügung gestellt, damit dieser nicht in dem Gewand eines Dieners an der Dinnertafel Platz nehmen mußte. Nun stand Lornerly also im Türrahmen und war kaum wiederzuerkennen. Die Haare waren ordentlich aus der Stirn gebürstet, das Halstuch in korrekte Falten gelegt. Obwohl ihm die Jacke an den Schultern eine Spur zu eng war, trug er sie mit angeborener Grandezza. Kitty im himmelblauen Kleid an seinem Arm strahlte vor Stolz. Sie zwinkerte ihrem Vormund belustigt zu, bevor sie sich von ihrem Gatten zu den Aldwins führen ließ. Der Hausherr beeilte sich, die beiden seinen Verwandten vorzustellen.
St. James fing den neidischen Blick auf, den Paulina Kitty zuwarf. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte laut aufgelacht. Sein ehemaliges Mündel sah wirklich wie eine Prinzessin aus. Kaum zu glauben, daß sie noch gestern die Rolle eines Dienstboten mit so viel Überzeugung gespielt hatte. Nun war die Gesellschaft also vollzählig versammelt. Nur Mary Ann fehlte.
St. James’ Ungeduld wuchs von Minute zu Minute. Nun kam Silvie näher, um Kitty zu begrüßen. Liebevoll stützte sie ihren Verlobten, dessen verletztes Bein noch immer geschont werden mußte. Dem Earl war, als hätte er
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