Schneegestöber (German Edition)
Kitty energisch aus. »Wir haben dir doch angeboten, dich mit nach Windon Hall zu nehmen. Al hat mir ausdrücklich versichert, daß er nichts dagegen hat, wenn du mit uns kommst.« Doch Mary Ann schüttelte ebenso energisch den Kopf:
»Nein, Kitty, ich weiß dein hochherziges Angebot zu schätzen. Wirklich, es ist zu freundlich von euch, daß ihr an mich denkt, doch ich werde nicht mit euch nach Windon Hall fahren. Um nichts in der Welt möchte ich euer junges Glück stören. Und was sollte ich auf Windon Hall bei all den wildfremden Menschen? Nein, da ist es schon klüger, nach Ringfield Place zu fahren und zumindest die Weihnachtsfeiertage bei John und den Kindern zu verbringen. Dann kann ich ja weitersehen.«
Kitty seufzte. Sie verstand St. James nicht. Sie hatte ihren Vormund in den letzten Tagen beobachtet. Sie konnte sich doch nicht täuschen, St. James hatte eindeutig ein Auge auf Mary Ann geworfen. Warum um alles in der Welt erklärte er sich dann nicht? All die Probleme ihrer Freundin wären mit einem Schlag gelöst. Doch so konnte sie dieses Thema natürlich nicht ansprechen. Was war, wenn sie sich irrte und Mary Ann unerfüllbare Hoffnungen in den Kopf setzte?
»Als alleinstehende Frau kann ich unmöglich einen Hausstand gründen«, spann Mary Ann ihre Gedanken fort. »Na ja, es wird mir schon etwas einfallen.« Sie bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln. »Da gibt es noch eine alte Freundin von Mama in Bedfordshire. Vielleicht schreibe ich dieser Dame einmal. Möglicherweise kann sie eine Betreuerin gebrauchen.« Mary Ann seufzte und ließ sich auf der Bettkante nieder. Das Leben war schwer, wenn die Zukunft im dunkeln lag. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß sie heute ihren Geburtstag feierte. Sie war endlich einundzwanzig, endlich volljährig. Wie lange hatte sie mit Sehnsucht auf diesen besonderen Tag gewartet. Sie hatte sich vorgestellt, Freudentänze darüber aufzuführen, endlich aus Johns Vormundschaft entlassen zu werden. Und doch, nun hatte es den Anschein, als müßte sie sich freiwillig wieder dem Willen ihres Bruders beugen. Ohne Geld nützte ihr die Volljährigkeit nichts. Kitty konnte diesen traurigen Blick nicht ertragen. Es war ohnehin Zeit, daß sie sich mit ihrem Vormund aussprach.
»Ich muß dich leider verlassen, um die Koffer zu packen«, erklärte sie, als hätte sie Mary Anns trübe Stimmung nicht bemerkt. »Am Nachmittag wollen Al und ich das erste Mal ausreiten. Ich glaube, es steht dir nicht der Sinn danach, uns zu begleiten?«
Mary Ann lächelte gequält: »Nein, wahrhaftig nicht«, bestätigte sie.
»Doch laß dich nicht aufhalten, Kitty. Wir sehen uns zum Dinner. Wie ich gehört habe, hat der Viscount Anweisung gegeben, daß du und Al heute abend bei uns eßt. Ich bin wirklich froh darüber, dich wieder an meiner Seite zu wissen. Ich hatte stets ein schlechtes Gewissen, daß du bei der Dienerschaft essen mußtest, während ich mich im Salon vergnügte.«
Kitty lächelte: »Es war gar nicht so schlimm, wie du dir vorstellen kannst. Und wer weiß, vielleicht hätte ich Al nie richtig kennengelernt, wenn uns diese Stunden in der Küche nicht zusammengeführt hätten.« Sie drückte ihrer Freundin noch einen raschen Kuß auf die Wange, und dann verließ sie das Zimmer.
Mary Ann hätte heulen können. So saß sie da auf ihrer Bettkante und starrte aus dem Fenster. Natürlich gönnte sie ihrer Freundin all das Glück und die Freude, die sie jetzt empfand. Und doch. Sie hatte ihr künftiges Leben mit Kitty gemeinsam geplant. Und nun war sie allein übriggeblieben. Am besten, sie begann auch, die Koffer zu packen. Lieber einen Nachmittag alleine in ihrer Kammer als unten im Salon. Sie hatte nicht die geringste Lust zuzusehen, wie St. James mit Paulina flirtete. Wenn sie daran dachte, wie begierig er war, von Lady Silvie zu erfahren, ob Paulina seine wahre Herkunft kannte. Sicher würde er seine Identität dem Mädchen noch heute nachmittag enthüllen. Wenn sie Paulina richtig einschätzte, so würde diese nichts lieber tun, als dem Earl um den Hals zu fallen. Die Chance, eine Countess zu werden, nein, die würde sich Paulina Aldwin nicht entgehen lassen. Und ihre Mutter schon gar nicht.
Die Uhr im Salon schlug mit dumpfen Tönen sechsmal die volle Stunde. Der Earl, bereits für das Dinner umgekleidet, ging unruhig auf und ab. Es war nicht auszuhalten. Neben dem Kamin hatte sich Familie Aldwin vollzählig versammelt. Der Viscount und Mr. Finch hatten sich zu
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