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Schneekind

Schneekind

Titel: Schneekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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Minute – oder auch erst nach zwei Stunden. Jemand hätte Daniela also schon vor dem Vortrag vergiften können.“
    Alex schwenkte sein Glas Wein.
    Friedrich schüttelte den Kopf. „Kohlenstoffmonoxid kann man ganz einfach nachweisen. Das würde dem Labor nicht solche Probleme bereiten.“
    „Es war nur ein Beispiel, Papa!“ Sylvia drehte ihren Kopf dem Vater zu. Ihre blonden Haare waren zu einer gekonnten Banane hochgesteckt. „Ich tippe ohnehin auf ein Zellgift.“ Sie sah wieder ihre Mutter an. „Der Sauerstoff kann dann noch bis zur Zelle transportiert werden, aber das Zellgift verhindert, dass er dort verarbeitet werden kann.“
    „Zum Beispiel Blausäure“, sagte Friedrich.
    „Blausäure? Das kennt man doch von Agatha Christie, oder?“ Christas Lachen klang aufgesetzt.
    „Nicht nur“, stellte Sylvia richtig. „In Deutschland ist es auch unter dem Namen Zyklon B zu trauriger Berühmtheit gelangt, damit wurden in einigen Konzentrationslagern …“
    „Sylvia“, unterbrach Christa ihre Tochter. „Das gehört nun wirklich nicht hierher.“
    „Ach Mama.“ Sylvia seufzte. „Das Reh war übrigens köstlich.“
    „Vorzüglich“, bestätigte ich.
    „Wo Hendrik nur bleibt?“ Friedrich blickte auf seine Armbanduhr. Wir waren beim Dessert angelangt; es gab Mandelparfait.
    „Der kommt schon noch“, sagte Alex.
    „Spätestens zur Bescherung.“ Sylvias Haut schimmerte wie heller Marmor.
    „Er wohnt doch hier im Ort, oder?“ Ich ließ meinen Löffel in das geschichtete Eis gleiten. Da war ein zarter Bittermandelgeschmack, etwas Honig und Zimt.
    „Ja.“ Christa schien sich langsam Sorgen zu machen. „Er hätte wirklich mal anrufen können.“
    Hendrik war der jüngste Sohn der Familie Marquard. Er hatte ein Medizinstudium in Tübingen und ein Jurastudium in Dresden abgebrochen, die er – da war sich Alex sicher – ohnehin nie angetreten hatte. Nach Jahren der Orientierungslosigkeit schloss Hendrik aber doch noch eine Ausbildung zum Pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten ab. Auch das war nicht ganz problemlos verlaufen; es hatte „Unregelmäßigkeiten in der Bestandsaufnahme der Arzneimittelvorräte“ gegeben, wie Friedrich es ausdrückte. Hendrik habe Medikamente geklaut, meinte Alex mit gespielter Gleichgültigkeit. Nur aufgrund von Friedrichs Intervention habe die Apotheke von einer Strafanzeige abgesehen.
    „Gibt es heute Abend eigentlich keine erfreulicheren Themen?“, fragte Alex und legte seinen Arm um mich. „Zuerst Daniela, dann Hendrik, was soll Anne denn denken?“
    „Apropos Harmonie“, flüsterte er und gab mir einen Kuss. Seine Lippen schmeckten nach süßem Dessertwein.
    Jetzt stellte Friedrich eine Frage, die meinen Puls nach oben schnellen ließ: „Wie sieht es eigentlich mit Kindern aus?“ Er blickte mich erwartungsvoll an.
    „Weihnachten ist doch das Fest der Geburt Jesu Christi“, versuchte er seinen Vorstoß abzuschwächen, weil er wohl bemerkt hatte, dass mich das Thema in Verlegenheit brachte.
    „Natürlich wünschen sich Anne und ich Kinder, stimmt doch, Schatz?“
    Ich nickte. Das Klappern von Löffeln auf Porzellan. Die roten Ohrläppchen von Friedrich. Sylvias schwebende Schönheit. Christa verließ den Raum.
    „Ich weiß nicht“, krächzte ich. „Im Prinzip schon.“
    „Darf ich fragen, wie alt du bist?“
    „38“, sagte ich und fühlte mich plötzlich alt. Meine Hände waren feucht.
    „Möchte noch jemand einen Espresso?“ Christa war mit einem Tablett zurückgekehrt und verteilte die kleinen Tassen.
    „Danke“, sagte Friedrich und lehnte sich zurück. „Es tut mir leid, wenn ich dich in Verlegenheit bringe, Anne. Das ist nicht meine Absicht. Wir sind eine Ärztefamilie, das weißt du ja, bei uns wird seit jeher offen über medizinische Themen gesprochen, ohne falsche Scham. Es ist ja nicht schlimm, 38 zu sein, im Gegenteil, es ist ein großartiges Alter, ich wünschte, ich wäre selbst nochmal so jung.“ Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lächelte mich an.
    Der Dessertwein glänzte in meinem Glas. Alex tat mir Zucker in meinen Espresso.
    „Wartet nicht zu lange damit“, sagte Friedrich. „Lars hat übrigens eine tolle Fertilitätsklinik aufgebaut, in der Nähe von Karlsruhe.“
    „Lars Jordan?“ Alex tupfte sich mit der Serviette die Stirn ab. Er schwitzte.
    „Mein früherer Assistenzarzt aus Dresden“, erklärte Friedrich mir. „Zu meiner Zeit war da die Nachfrage noch nicht so groß, sonst hätte ich mich auch

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