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Schneekind

Schneekind

Titel: Schneekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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Stößen, und in meinen Ohren dröhnte es wie das Schreien einer Gebärenden. Ich folgte Christa in die Küche, ich sah, wie sie im Kreis lief und immer wieder rief: „Friedrich stirbt. Friedrich stirbt.“
    Ich muss zurück. Ich muss Alex helfen , war der letzte Gedanke, den ich fasste, bevor alles in einen unwirklichen Trance-Modus kippte: Christa, die im Kreis ging. Christa, deren Lippen sich bewegten. Die Zeiger der Küchenuhr. Die Drehung meines Körpers. Meine hohen, schwarzen Lackschuhe. Die weißen Fließen im Vestibül. Mein rotes Kleid. Der schwarze Perser.
    Bitte nicht.
    Der Film riss. Ein jäher Schmerz. Als steckten zwei Messer in meinem Bauch. Ich krümmte mich auf dem Teppich. „Ist er tot?“, wimmerte ich. „Sag, dass er nicht tot ist, bitte.“
    Bitte nicht.
    Die Schmerzen waren dieselben wie in den Jahren zuvor, nur zehnmal so schlimm.
    „Lass ihn nicht sterben“, hörte ich mich stammeln. Dann wurde es schwarz.
    Das Erste, was ich sah, als ich wieder zu mir kam, war das kreidebleiche Gesicht von Hendrik. Er kniete neben mir und übergab sich auf den schwarzen Perser. Wie lange war ich ohnmächtig gewesen? Ich hörte die Sirene eines Krankenwagens, dann aufgeregte Schritte, ein Stimmengewirr.
    „Hier entlang“, hörte ich Sylvia und sah die Sanitäter ins Wohnzimmer rennen.
    Friedrich. Der Krankenwagen . Ich richtete mich auf.
    Ich hatte keine Schmerzen mehr.
    Es konnten nur ein paar Minuten gewesen sein, die ich tief in mir an einem anderen Ort verbracht hatte.

5. Kapitel: 25. Dezember
    Friedrich Marquard war noch auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben. Auch der Luftröhrenschnitt hatte ihn nicht retten können. Alex und ich waren im Krankenwagen mitgefahren, ich saß vorne neben dem Fahrer, er hinten neben seinem Vater. „Es war ein stiller Tod“, berichtete Alex später seiner Mutter: „Am Ende hat Papa gelächelt.“
    Nicht die Lüge war das Problem, sondern dass Alex vollkommen überzeugend wirkte, während er sie aussprach. Friedrich hatte eine Maske auf dem Mund gehabt, während sie ihn in die Notaufnahme schoben, wie konnte Alex ihn da lächeln gesehen haben? Friedrich war erstickt; wie konnte man da lächeln? Nach unserer Ankunft im Kreiskrankenhaus Sigmaringen versuchten sie trotz allem, ihn noch einmal wiederzubeleben.
    Gegen 22.10 Uhr gab man es schließlich auf.
    Die diensthabenden Ärzte standen vor einem Rätsel. Ein junger Mann – ich schätzte ihn auf Ende zwanzig – tippte auf ein Blutgerinnsel in der Arteria basilaris , eine der Schlagadern, die das Gehirn mit sauerstoffreichem Blut versorgen. Er habe die Weihnachtsschicht übernommen, erzählte er noch, weil sich seine Freundin von ihm getrennt habe. Ich sah die Trauer in seinem Gesicht, doch auch die Freude, als Alexander Marquard – der um ein Vielfaches an Erfahrung reichere Chirurg aus Berlin – meinte, man müsse seine Theorie im Auge behalten.
    Im Kreiskrankenhaus Sigmaringen nahm man großen Anteil am Tod von Prof. Dr. Friedrich Marquard, den man entweder persönlich oder dem Namen nach gekannt hatte, „eine Mediziner-Legende“, sagte der junge Arzt mit der Arteria-basilaris-Theorie. Ein Kollege aus der Neurologie, ebenfalls ein noch sehr junger Mann, dachte eher an eine Einblutung im Hirnstamm. Eine erfahrene Krankenschwester fragte, ob chronische Krankheiten vorlagen, von denen man nichts wisse; denn die Symptome erinnerten sie an den tragischen Fall eines Richters, der vor zehn Jahren an einem plötzlichen Schub von Multipler Sklerose verstarb, der sein Atemzentrum lahmlegte.
    „Das ist möglich“, sagte Alex zu meinem Erstaunen, denn Friedrich hatte keine MS gehabt, soviel ich wusste. Alex nahm einen Schluck von der warmen Brühe, die man uns gereicht hatte, bevor er weitersprach: Wenn er ehrlich sei, vermute er schon lange, dass sein Vater an einer chronischen Krankheit gelitten haben könnte. Doch sein Vater sei der Typ Mensch gewesen, der versucht hätte, sich selbst zu therapieren, weil er die Familie nicht belasten wollte. Die anwesenden Ärzte nickten; man traute einem starken Charakter so etwas zu.
    Trotz allem sei man dazu verpflichtet, räusperte sich schließlich eine kleine, dunkle Frau, die ich für die Anästhesistin gehalten hatte, „auch die Möglichkeit von toxischen Substanzen auszuschließen.“ Sie hatte die Worte Gift und Mord nicht gebraucht. Im Gegenteil, sie sprach von „reiner Routine“. Man werde Proben von Blut, Urin und Mageninhalt entnehmen müssen und ins Labor

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