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Schneekind

Schneekind

Titel: Schneekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Nowak
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brannte ein Feuer, auf dem Tisch stand ein Tablett mit sechs Champagnergläsern, zwei davon waren bereits gefüllt. Als wir eintraten, schenkte Alex das dritte ein. Er hatte zwei Flaschen geöffnet, mit denen er abwechselnd hantierte. Um den Hals der einen Flasche war eine weiße Serviette gebunden.
    Sylvia läutete abermals mit einem weißen Porzellanglöckchen. Der Baum schien zu schweben. Ich konnte nicht aufhören, die Lichter anzusehen, die tief in meinem Innern etwas auslösten, das mich rührte: Es war etwas Gutes. Etwas Schönes. Ich dachte an meine Mutter und daran, dass es also Glück gegeben haben musste. Eine Träne lief meine Wange hinab.
    Hendrik ließ mich nicht aus den Augen. Ich griff nach einem Glas.
    „Moment.“ Alex nahm mir das Glas wieder ab. Er schien aufgeregter zu sein als ich.
    „Für die Damen habe ich etwas anderes.“ Er reichte mir ein anderes Glas und pries seinen Inhalt an: „Brut Rosé Vintage aus dem Hause Roederer, eine Rarität.“
    Ich nickte. Im Kerzenlicht konnte ich ohnehin keinen Unterschied erkennen. Überall lagen Geschenke herum, und ich war froh, dass ich Alex die Winkekatze eingepackt hatte.
    „Sind jetzt alle soweit?“, fragte Friedrich zufrieden. Wir standen im Halbkreis um den Weihnachtsbaum. Jeder nickte.
    „Na dann“, sagte er und erhob sein Glas. „Ein frohes Weihnachtsfest!“
    „Ein frohes Fest“, sagte ich leichthin.
    „Ein frohes Fest“, tönte es aus allen Mündern. Die Gläser klirrten. Der Champagner schmeckte vorzüglich.
    Alex umarmte mich und sagte, dass er mich liebe, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er nicht bei der Sache war; immer wieder blickte er sich um, als wartete er auf etwas.
    „Aber das weiß ich doch, Christa“, hörte ich Friedrichs Stimme leise. Dann umarmten sich auch die beiden. Christa sagte etwas, doch ihre Stimme zitterte, als wäre sie den Tränen nahe. Ich war also nicht die Einzige, für die dieser Abend eine emotionale Achterbahnfahrt war.
    Es klirrte. Hell. Etwas zerbrach. Dann ein dumpfer Schlag. Ich sah Alex’ Gesicht, das sich zu einer Grimasse entstellte. Ich sah sein Champagnerglas, das am Kamin zerbrochen war. Alex stürzte auf den Boden. Erst dann sah ich Friedrich, der gekrümmt auf dem Teppich lag. Er fasste sich mit beiden Händen an den Hals. Er schien keine Luft zu bekommen. Seine Augen waren panisch geweitet.
    „Alex“, röchelte Friedrich und streckte seine Hände nach dem Sohn aus.
    Christa ergriff meinen Arm, sie zitterte am ganzen Leib. Hendrik stand wie versteinert am Kamin.
    „Herzinfarkt? Schlaganfall?“ Alexander und Sylvia sahen sich an. Alex kniete rechts neben dem Vater, Sylvia links.
    „Versuche, ruhig zu atmen, Papa“, sagte Sylvia und entfernte das Seidentuch um seinen Hals. Friedrich schlug panisch um sich. Alex hielt seine Hände fest.
    „Einen Notarzt, schnell“, fuhr Sylvia Christa an, die noch immer zitternd neben mir stand. Wimmernd stürzte Christa zum Telefon.
    „Ganz ruhig, Papa, der Krankenwagen ist schon unterwegs“, sagte Alex und versuchte, in den Rachen seines Vaters zu sehen. Doch der Versuch misslang; Friedrich schlug und bäumte sich auf, als wütete ein Dämon in ihm.
    Ich klammerte mich am Sofa fest. Das Röcheln, das er beim Versuch, Luft zu holen, von sich gab, war furchtbar.
    Wertvolle Sekunden verstrichen, Minuten, die über Leben und Tod entscheiden konnten. W arum tut denn niemand etwas? Ich hielt das nicht mehr aus. Ich ging in die Hocke und begann, zu wimmern. Irgendwann wurde das Röcheln von Friedrich leiser, seine Lippen färbten sich blau.
    Als er nicht mehr um sich schlug, begann Alex mit der Herzmassage und Mund zu Mund Beatmung. Endlich .
    Christa kam zurück. Sie hielt den Hörer noch immer in der Hand und sah aus wie ein Gespenst.
    „Habt ihr irgendwo eine Sauerstoffmaske? Oder einen Inhalator gegen Asthma?“, fragte ich mit Tränen in den Augen.
    Christa schüttelte den Kopf. Sie starrte auf die Szene, die sich am Boden abspielte, ihre Lippen murmelten unentwegt. Ich glaube, sie betete.
    Hendrik ging fluchend auf und ab.
    „Ein Filetiermesser!“, schrie Sylvia. Dann rannte sie in die Küche. Mit einem kleinen, scharfen Messer kam sie zurück.
    „Tracheotomie?“, fragte Alex, und ich sah das nackte Entsetzen in seinen Augen.
    „Wir müssen es versuchen.“ Sylvias Gesicht war konzentriert und entschieden, als sie das Messer an den Hals ihres Vaters setzte.
    Christa rannte aus dem Zimmer. Ich folgte ihr. Jemand schrie in rhythmischen

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