Schneeköniginnen
Gruppe Arbeiter mit müden, grauen Gesichtern waren sie
die einzigen Passagiere. Sie schlüpften durch das Drehkreuz. Anne bestand auf
einer Bank am Außendeck. Die Fähre legte ab, und die Skyline rekelte sich in
ersten Sonnenstrahlen. Trotzdem war es sehr kühl, da draußen im Fahrtwind.
»Wunderschön«, schwärmte Anne.
»Scheiß drauf, mir ist saukalt!« Katie
bibberte und sah sich um, als erwartete sie jeden Moment die Kerle mit den
dunklen Sonnenbrillen und den Aktenkoffern voller Dollarnoten. Doch das Deck
war und blieb menschenleer. »Kannst du mir mal sagen, was ich hier in aller
Herrgottsfrühe soll?« Zähneklappernd zog sie ihre Jacke enger um sich. »Warum
gehen wir nicht rein, was soll das werden? Wieso schleppe ich das ganze Dope
mit mir herum?«
»Dazu kommen wir gleich«, lautete die
Antwort.
Wieso fror Anne nicht? Wahrscheinlich
kam sie gerade aus Stefans warmem Bett gekrochen... Katie zwang ihre Gedanken
in eine andere Richtung. Anne bedachte die schlotternde Katie mit einem
fürsorglichen Blick: »Weißt du übrigens, Katie, daß Stefan einen totalen Narren
an dir gefressen hat? Du bist der Typ, auf den er abfährt. Frauen wie du wecken
seine Beschützerinstinkte. Gut, daß er dich nicht besser kennt.«
»Wie kannst du das so sicher
behaupten, nach ein paar Tagen...«
»Nein«, fiel ihr Anne ins Wort, »nach
ein paar Minuten. Den hast du im Sturm erobert, ganz sicher, ich kenne ihn
lange genug.«
»Was soll denn das jetzt?« reagierte
Katie dünnhäutig. »Ich denke, der holde Prinzgemahl ist für unsereins tabu?
Bist du irgendwie krank, oder was?« Sie hatte die Faxen nun gründlich dicke. Am
liebsten hätte sie Anne auf der Stelle angebrüllt, sie solle sich ihr Geld und
ihren Job sonstwohin stecken. Andererseits... gestern hatte sie mit Gordon
darüber gesprochen. Das Angebot hatte durchaus seine Reize, doch, doch. Es war
schlicht und einfach ein Traumjob. Aber was, zum Teufel, bezweckte Anne mit
diesen komischen Andeutungen? Katie hatte den Verdacht, daß Anne ein Spiel mit
ihr trieb, dessen Regeln nur sie allein kannte.
»Warum willst du ihn mir jetzt
plötzlich wieder schmackhaft machen?« fragte sie lauernd.
»Ich will ihn dir nicht schmackhaft
machen«, sagte Anne, »ich will ihn dir verkaufen.«
Es war nicht einfach, Katie zu
schockieren, aber Anne hatte es mit Bravour geschafft.
»Du willst... was?« flüsterte Katie
fassungslos. Sie mußte sich verhört haben! Nein, sie hatte nicht.
»Ihn dir verkaufen«, wiederholte Anne
jetzt in schamloser Deutlichkeit.
Katie sprang auf. Jetzt reichte es!
»Das ist ja hochgradig pervers! Du denkst wohl, du kannst alles und jeden
manipulieren, was? Verkaufen! Du bist... skrupellos!« Katie schnappte nach Luft
wie ein Karpfen auf dem Trockenen, dann ließ sie ihrer Empörung freien Lauf,
wobei es ein paar deftige Beleidigungen hagelte.
Katies Anwürfe prallten an Anne ab wie
Gummibälle. Sie verzog keine Miene, saß vielmehr gelassen da und wartete Katies
Temperamentsausbruch ab, der so wirkungslos verpuffte wie ein Feuerwerk.
Am Ende ihrer Kanonade setzte sich
Katie wieder hin, schluckte, und in den strammen Seewind hinein fragte sie
leise: »Wieviel?«
»Rate mal.« Anne feixte, ein geradezu
dreckiges Grinsen, wie Katie fand, und verschränkte abwartend die Arme.
Katie glotzte zunächst wie ein Schaf.
Endlich dämmerte es ihr.
»O nein!«
»O doch.«
»Du hast mich glatt reingelegt!«
erkannte Katie. »Das war ein ganz übler, hinterfotziger Trick! Du willst in
Wahrheit überhaupt nichts mehr von ihm.«
»Denk an dein Versprechen«, mahnte Anne.
»Die zwei Kilo her, und ich vergesse es auf der Stelle.«
Katie ließ sich schlapp auf die Bank
sacken. »Ich blödes, blödes Rindvieh! Was bist du bloß für ein durchtriebenes
Weib!«
»Richtig. Und jetzt entscheide dich, wir
sind bald da. Aber denk dran«, mahnte Anne, »das ist die erste und letzte
Gelegenheit, dir einen Mann zu kaufen.«
Katie stützte das Gesicht in die
Hände, so blieb sie fast zwei Minuten lang sitzen. Ihr schwirrte der Kopf wie
ein Wespennest. Ihre Gedanken lavierten zwischen dem spontanen Impuls,
Charakter zu zeigen und diesen abartigen Deal stolz abzulehnen, und dem zart
aufkeimenden Bedürfnis, der lockenden Versuchung nachzugeben. Immerhin,
überlegte sie zögernd, bis jetzt hatte ihr der Stoff nichts als Ärger
eingebracht, es würde schwierig, wenn nicht sogar lebensgefährlich werden, ihn
zu Geld zu machen.
Plötzlich stand sie auf, spuckte
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