Schneeköniginnen
weg!«
»Meinst du nicht, daß es hier immer
noch gefährlich für dich ist?« fragte Anne. »Was ist mit den Typen aus dieser
üblen Kneipe? Ehrlich gesagt, ich würde es nicht sehr begrüßen, wenn du im
Fundament eines Sozialbaus enden würdest, nach allem, was wir durchgemacht
haben.«
Es war lange her, so lange, daß Katie
sich nicht mehr daran erinnern konnte, daß sich jemand um sie Sorgen gemacht
hatte. Die neue Erfahrung stieß bei ihr auf Unsicherheit, ja sogar auf
Ablehnung. »Ach was«, brummte sie unwirsch, »das waren bloß irgendwelche Vögel,
die mitgekriegt haben, daß ich mal ‘n paar Gramm verkauft hab’. Die wissen
garantiert von nichts.«
»Hoffentlich. Katie, was ich dir noch
sagen wollte...« Anne druckste jetzt ihrerseits verlegen herum und trat von
einem Bein aufs andere, »...danke, daß du mich so schnell da rausgeholt hast.
Ich weiß, was das Zeug für dich bedeutet hat, und jetzt bist du genaugenommen
wegen mir pleite. Aber ich werde versuchen, dir...«
»Spar dir die Dankeshymne«, unterbrach
Katie, »so ganz stimmt das nicht.«
»Doch, doch, es ist schon so. Das war
durchaus keine Selbstverständlichkeit.« Mit heißer Scham mußte Anne an ihren
unsäglichen Verdacht denken.
»Du verstehst mich falsch«, flüsterte
Katie, denn es standen noch mehrere Leute um sie herum, »ich hab’ ihnen das
Zeug nicht gegeben.«
»Wieso? Ich hab’s doch selber
gesehen.«
Katie zog Anne etwas zur Seite und
erklärte ihr, leise und in knappen Worten, von ihrem gelungenen Bluff.
Zuerst sagte Anne gar nichts, sie
starrte Katie nur wie eine Erscheinung an. Urplötzlich war dieser schreckliche,
von Todesangst erfüllte Augenblick auf dem Schrottplatz wieder da. Dann holte
Anne weit aus und versetzte Katie eine schallende Ohrfeige.
Eigentlich gab es jetzt für Anne
keinen zwingenden Grund mehr, in New York zu bleiben. Doch sie reiste noch
nicht ab. Sie mietete sich — vom Plaza hatte sie vorerst genug — im Algonquin
ein. Von dort aus sah man sie in den nächsten Tagen geschäftig kreuz und quer
durch New York flitzen, daneben schien sie an einem neuen Telefonrekord zu
arbeiten. Sie telefonierte mit ihrem Vater, ihrem Steuerberater und ihrem
Rechtsanwalt, und das mitunter mehrmals am Tag. Sie traf sich mit Gordon, mit
Gordon und Harvey, und nochmals mit Gordon, Harvey und ihren Rechtsanwälten.
Katie traf sie nicht mehr.
Als sie nach Tagen etwas Zeit fand,
ging sie mit Stefan zum Dinner. Er erzählte, daß Katie es vorerst nicht wagte,
den Stoff in größeren Mengen zu verkaufen.
»Woher weißt du denn das?« fragte Anne
betont arglos, worauf Stefan unruhig auf seinem Stuhl herumzurutschen begann.
»Sie hat mich... ich habe sie... also,
wir waren bloß mal zusammen essen, das wird wohl nicht verboten sein!«
»Keineswegs. Wie könnte ich dir
etwas verbieten? Warum wirst du denn so nervös? Übrigens, wohnt sie eigentlich
noch bei Lis?«
»Wo sollte sie denn sonst hin? Sie
hält sich im Moment sozusagen im Untergrund, man weiß ja nie...«
»Hast du ihr erzählt, daß wir«, Anne
schluckte, »uns trennen werden?«
»Nein«, sagte Stefan, »nur daß wir zur
Zeit ein paar Differenzen haben.«
Am Sonntagmittag schaute Anne bei Lis
vorbei.
»Katie ist nicht da«, bedauerte Lis.
Sie war im Morgenrock und frühstückte mit Paul, der einen seidenen Pyjama trug,
und Gordon, der Anne anstrahlte wie ein Weihnachtsbaum. »Sie ist zum Friedhof
gegangen. Ihren Vater besuchen.«
»Sie hing wohl sehr an ihm, was?«
»Ja, das kann man sagen«, nickte Lis.
»Auch ‘nen Frenchtoast?«
»Nein, danke. Allein vom Anschauen
bekomme ich Zahnweh. Was war er für ein Mensch, ihr Vater?«
»Tja«, meinte Lis mampfend, »wenn du
Katie fragst, war er der tollste Vater der Welt, der lediglich eine
Dauerpechsträhne hatte. In Wirklichkeit war er ein notorischer Weiberheld und
Spieler, der jeden in der Lower East Side in Grund und Boden saufen konnte. Was
er auch fast täglich unter Beweis stellte. Kein Wunder, daß er keinen Job mehr
bekam. Aber kräftig singen konnte er und war meistens gut drauf, das muß man
ihm lassen. Und zu Katie war er immer nett, nur mit ihrem Bruder hat es öfter
gekracht. Bis er dann mal zuviel erwischte, aber das weißt du ja sicher von
Katie.«
»Es war ein Autounfall, nicht wahr?«
»Nun, ja... er lag besoffen wie ein
Schwein am frühen Morgen auf der Straße herum und wurde vom Müllauto
angefahren. So gesehen war es allerdings schon ein Autounfall.« Lis
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