Schneeköniginnen
erneut von den Socken. In
den letzten Jahren schien sich die Welt total verändert zu haben, zumindest in
dieser Familie. Die Mutter hatte man seinerzeit selten gesehen, sie war fast
immer arbeiten. Lis’ Vater war ein symphatischer Spinner, der stets
irgendwelche Unternehmungen in Angriff nahm, die kaum jemals von finanziellem
Erfolg gekrönt waren. Da war die Sache mit dem Hundefutter, dem ein
unschädlicher, phosphoreszierender Stoff beigemischt war, welcher die
Hinterlassenschaften der Biester bei Dunkelheit zum Leuchten brachte. Niemand,
außer ein Blinder natürlich, würde mehr nachts in einen Hundehaufen treten,
sollte diese Erfindung erst einmal weite Verbreitung gefunden haben. Lediglich
die Hundefutterhersteller waren nicht von der Genialität dieser Idee zu
überzeugen.
Wie hatte es diese Chaotenfamilie bis
nach Coney Island geschafft, und warum war diese schrullige Großmutter noch
hier?
»Wenn das alles stimmt, wieso lungerst
du dann hier herum?« erkundigte sich Katie lauernd. Womöglich schlug die Kleine
ihrem Erzeuger nach und halluzinierte.
»Weil Mami im Krankenhaus ist und Papi
keine Zeit für mich hat. Er hat gerade einen neuen Job angefangen.«
Die Welt hatte sich also doch nicht
völlig verändert.
»Ist deine Mutter denn krank?«
»Ach woher! Sie läßt sich bloß die
Nase richten.«
Katie kicherte respektlos. Wahrhaftig,
bei denen mußte der Wohlstand ausgebrochen sein. Aber nun zum Wichtigsten: »Was
ist mit Lis? Warum will mir deine Großmutter die Adresse nicht geben?«
Sarah sah sich um und winkte Katie
weiter, wo die Großmutter sie nicht sehen konnte.
»Ich darf nicht von ihr sprechen, wenn
Omi es hört. Omi sagt, sie lebt in Sünde.«
»Was hat sie angestellt?«
»Oh, das weißt du nicht?«
»Sarah, ich war lange nicht hier.«
»Wo warst du?«
»In Deutschland, aber das tut jetzt
nichts zur Sache. Was ist mit Lis?«
»O die! Die ist eine berühmte
Schauspielerin geworden«, sie vollführte eine weltumspannende Armbewegung, »und
kommt jeden Tag im Fernsehen, sogar zweimal.« Sarah blähte sich auf wie ein
Ochsenfrosch. »Sie verdient viel, viel Geld. Davon hat sie unser neues Haus
bezahlt. Sie wollte auch Omi ein schönes Haus kaufen, aber Omi will nicht. Sie
will auch nicht in unser Haus ziehen. Omi sagt, es sei von schmutzigem Geld
gekauft.«
Katie wußte nicht so recht, was sie
glauben sollte. Lis hatte, neben ihren zahlreichen anderen Flausen, schon immer
einen latenten Hang zur Schauspielerei gehabt. Sie hatte es immerhin mit
sechzehn bis zur Statistenrolle in einer Off-off-Broadway-Show gebracht. Der
einzige Fernsehauftritt jedoch, an den Katie sich erinnern konnte, war die
Jeanswerbung eines lokalen Senders gewesen. Lis gehörte angeblich der siebente
von zehn knackigen Mädchenpopos, die in knallengen Jeans über den Bildschirm
wackelten.
»In welcher Sendung kommt sie denn?«
Am Ende drehte sie Softpornos oder sowas, das würde die Reaktion der alten
Kirsch einigermaßen erklären. Sarah tat furchtbar wichtig. »Es heißt
>Wealth-Club<. Es spielt in einer Bank. Sag bloß, das kennst du nicht?!«
»Weißt du, in Deutschland sind sie da
immer ein wenig hinterher...«, erläuterte Katie.
»Es ist eine ganz irre Serie, läuft seit
einem knappen Jahr. Jeder schaut sie an. Lis sieht im Fernsehen echt toll aus!
Sie spielt die Mona, und Mona ist verliebt in Richard, den Chef der Devi...
Desi..., ach irgend so einer wichtigen Abteilung, aber der hat eine Frau, die
ist schwer krank, und deshalb kann er sie nicht verlassen...« Sarah setzte sie
genauestens über die komplexen Zusammenhänge ins Bild, was einige Zeit in
Anspruch nahm. Katie hörte nur halb zu.
Lis! Lis der Nachwuchsstar einer
Soap-Opera, das war kaum zu glauben. Aus Sarahs naiven Schilderungen zu
schließen, spielte Lis so etwas wie das supersexy Dummchen.
»Hör zu Sarah. Hast du ihre Adresse?
Oder die Telefonnummer? Ich muß unbedingt zu ihr!«
Sarah schüttelte den Kopf. »Ich... ich
weiß nicht genau.«
Katie seufzte schicksalsergeben.
»...aber ich kann dich hinbringen! Ich
war schon oft da, ich weiß, wie ich laufen muß. Ist gar nicht weit von hier.«
»Super, kannst du das für mich
machen?«
»Ja, aber nicht jetzt. Omi würde mir
den Kopf abreißen.« Sie senkte verschwörerisch die Stimme. »Heute abend, da
geht sie wieder zum Friedhof, so um sieben. Kannst du da nochmal kommen? Dann
bringe ich dich hin.«
»Gebongt.«
»Macht zehn Dollar.«
»Wie bitte!?«
»Fünfzehn.«
»Okay,
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