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Schneeköniginnen

Schneeköniginnen

Titel: Schneeköniginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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im Vorgarten. Der Typ spielte sich von Anfang an
als Ersatzvater auf. Wenn ich abends in die Disco ging, wollte er mir
Vorschriften machen. Ich kam natürlich trotzdem heim, wann ich wollte. Er
nannte mich Schlampe und noch Ärgeres, ein paarmal langte er mir sogar eine.
Selbstverständlich geschah das alles nur zu meinem Besten, ich war ja erst
siebzehn. Eines Tages überraschte er mich mit seiner väterlichen Fürsorge
mitten in der Nacht, er kam nämlich angesoffen und mit offener Hose in mein
Zimmer und hielt mir den Mund zu.« Katie machte sich eine Zigarette an. »Ich
will dich nicht mit unappetitlichen Details langweilen. Ich hab’s überlebt. Als
er fertig war und ich mal eine Hand frei hatte, wollte ich ihm die
Nachttischlampe über den Schädel ziehen. Doch auf einmal hatte ich Mutters
Zuschneideschere in der Hand. Mit der hab’ ich immer Löcher in meine Jeans
geschnitten, so aus Gag. Na, jedenfalls rammte ich ihm die Schere irgendwohin.
Das war’s dann.«
    Anne starrte wortlos in die Wüste
hinaus, zerquetschte mit der Faust eine leere Coladose und hoffte, daß das
irgendwie nach Mitleid aussah. »Was war dann?«
    »Sie mußten ihm eine Niere
rausnehmen.« Katie stieß heftig den Rauch aus den Lungen.
    »Und deine Mutter?« fragte Anne.
    »Was würdest du als Mutter in so einem
Fall tun?«
    »Mich von dem Kerl trennen und ihn
anzeigen.«
    »Ja, das habe ich auch gedacht.« Katie
lachte künstlich. »Aber nichts da. Meine Mutter hat mir nicht geglaubt. Sie hat
mich verdächtigt, ihn angemacht zu haben. Nicht der wurde angezeigt,
sondern ich. Hat mir sechs Monate Jugendstrafe eingebracht, weil mir die
Richterin auch nicht geglaubt hat. Faselte irgendwas von >Notwehrexzeß<
und >Verhältnismäßigkeit der Mittel<. Ich hätte ihn mit der Schere töten
können, während er mich ja >nur< vergewaltigt hat, und selbst das wäre
nicht mal erwiesen.«
    »Naja«, überlegte Anne laut,
»vielleicht hätte es auch genügt, um Hilfe zu rufen, anstatt gleich mit der
Schere...«
    »Bravo!« sagte Katie hämisch. »Ich
will dir so ein Erlebnis wirklich nicht wünschen, Anne, aber wenn, dann würde
ich gerne sehen, wie du es mit der >Verhältnismäßigkeit der Mittel<
handhabst.«
    Anne fühlte das Blut in ihre Wangen
schießen. »Entschuldige, Katie, das war blöd von mir, ich habe nicht
nachgedacht.«
    Katie winkte ab. »Mit meiner Mutter
habe ich seither nie mehr ein Wort gesprochen. Sie lebt immer noch mit dem
Typen zusammen. Einmal habe ich sie gesehen, bei Karstadt. Da bin ich schnell
hinter ein Regal abgetaucht.«
    Anne überlegte eine Weile, dann sagte
sie vorsichtig zu Katie: »Das Gerichtsurteil war sicher ungerecht, aber hast du
dir schon einmal überlegt, warum deine Mutter zu dir hätte halten sollen?«
    »Wie bitte? Wie meinst du das?
Schließlich ist sie meine Mutter!«
    »Hast du dich denn wie ihre Tochter
aufgeführt?«
    »Moment mal! Auf wessen Seite stehst
du eigentlich?« Katie sprang auf und sah ihr direkt ins Gesicht. »Findest du
das etwa in Ordnung, wie sie mich behandelt hat?«
    »Nein, sicher nicht. Aber hast du ihr
denn vorher jemals eine Chance gegeben? Warst du auch mal nett zu ihr? Hast du
ihr geschrieben, während der Zeit, als du bei deinem Vater in New York warst?«
    »Ja, manchmal, wenn Papa es mir
befohlen hat, zu Weihnachten und so... aber was willst du damit andeuten?
Denkst du auch, daß ich ein hoffnungslos verkommenes Flittchen bin? So hat sie
mich nämlich genannt. Meine eigene Mutter! Glaubst du mir etwa auch nicht?«
Beim letzten Satz überschlug sich ihre Stimme.
    »Doch, natürlich. Ich versuche ja nur,
die Frau ein bißchen zu verstehen. Warum sollte sie ihr neues Zuhause, ihren
biederen Wohlstand, an dem sie nun einmal hängt, auch wenn du das verachtest,
hinschmeißen? Für eine Tochter, von der sie nie etwas bekommen hat, außer Lügen
und Widerspenstigkeit?«
    »Aber daß sie es aushält, weiterhin
mit so einem miesen Kerl zu leben. Findest du das normal?«
    »Das tut sie ja nicht. Deshalb redete
sie sich doch ein, es wäre deine Schuld. Sie will die Wahrheit nicht sehen.
Und, sei mal ehrlich, Katie, hättest du ihr diese Solidarität gedankt, die du
umgekehrt so selbstverständlich von ihr erwartest?«
    Katie trat wütend mit dem Fuß gegen
die Bank. »Und so was habe ich für meine Freundin gehalten«, sagte sie. Ihre
Stimme klang plötzlich, als hätte sie sie im Eisfach gelagert. Sie ließ Anne
verdattert sitzen und stapfte hinüber zu Ringo, der zwischen seinen

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