Schneeköniginnen
mit launischer Willkür vor sich her, und Anne lief es trotz der Hitze
eiskalt den Rücken hinunter. Obwohl sie und ihr Hintern vom Motorradfahren für
lange Zeit genug hatten, war sie froh, als sie wieder aufbrachen.
Am Nachmittag erreichten sie Roy’s
Motel in Amboy, und Anne trank eimerweise Eistee. Hank grinste: »Willst du dir
einen Vorrat ansaufen, wie ein Kamel?«
»So ähnlich.«
»Ist nicht nötig, wir sind gleich da.«
»Wo, da?«
»In Ludlow. Keine dreißig Meilen von
hier.«
»Und was machen wir da?«
»Da bleiben wir über Nacht.«
»Waaas? Übernachten? In dieser gottverlassenen
Gegend?« Anne mochte diese Wüste nicht, die weit und breit nichts bot, woran
sich das Auge festhalten konnte.
»Na klar«, grinste Hank, »da wohnt
nämlich mein Onkel. Der hat in Ludlow ein Motel.«
Stunden später fanden sich Katie und
Anne auf der nahezu ebenerdigen Veranda eines Motelzimmers wieder, satt und
träge von zwei riesigen »homemade« Cheeseburgern, die ihnen Hanky-Pankys Tante
aufgenötigt hatte. Hank half seinem Onkel, denn im Motel herrschte um diese
Zeit reger Betrieb. Trucker verlangten nach einem Abendessen, müde Autofahrer
nach Zimmern. Sie beobachteten, wie die Lichterkette der Interstate zögernd
aufzuglimmen begann, hin und wieder donnerte der Santa-Fe-Zug vorüber und
verdeckte für unglaublich lange Zeit die Sicht.
»Irre lang, diese Züge«, sagte Katie.
Ohne jedes Maß, dachte Anne, wie so
manches in diesem Land. Der Zug ließ sein Hornsignal ertönen, ein Laut voller
Sehnsucht und Wehmut, der einem jedesmal durch und durch ging. Einen Steinwurf
weit entfernt lag Ringo unter seiner Harley und reparierte irgend etwas.
»Zu dumm, daß du keinen Motor und zwei
Räder hast«, sagte Anne schadenfroh zu Katie, denn schon gestern abend hatte
Ringo sie ganz lässig abblitzen lassen.
Katie antwortete nicht, sie
konzentrierte sich ganz auf ihre Spielkarten. Sie übte ihre Fingerfertigkeit,
und man mußte zugeben, daß sie gewisse Fortschritte gemacht hatte. »Das kriege
ich schon noch hin«, verkündete sie optimistisch.
»Den Kartentrick oder Ringo?«
»Beides.«
»Mußt du denn jeden Typen haben, der dir
über den Weg läuft?« fragte Anne mit neugierigem Interesse.
»In dieser öden Gegend hier kann man
nicht wählerisch sein.«
»So habe ich das nicht gemeint. Ringo
ist ja ein netter Kerl, aber mußt du denn immer gleich... Das ist ja bei dir
die reinste Obsession!«
»Eine was?«
»Obsession. Auf gut deutsch: Du bist
ein Sex-Junkie.«
»So ein Scheiß. Und von >müssen<
kann keine Rede sein. Aber schau ihn dir an, ist er nicht sexy? Dieser Arsch!«
»Zugegeben... er sieht nicht schlecht
aus.« Mit seinem Schicki-Micki-Haarschnitt und der Ray-Ban-Sonnenbrille glich
er den einschlägigen Winnetou-Vorbildern etwa so sehr wie Katie einer
Dorfschullehrerin.
»Wären wir jetzt allein, ich würde ihn
glatt auf seiner Harley vernaschen.«
Das glaubte ihr Anne aufs Wort. Sie
hatte die Nummer im Jeep noch in lebhafter Erinnerung.
»Ja«, seufzte Katie schwärmerisch,
»wir könnten in die Wüste rausdonnern und unter freiem Himmel bei Sternenlicht
drauflosvögeln bis die Stoßdämpfer durchkrachen!«
»Wie romantisch.«
»Wie hast du es denn am liebsten?«
»Wie? Was?«
»Na, das Bumsen.«
Anne wandte indigniert den Kopf ab und
antwortete dann, mit Blick auf Ringos ölverschmiertes Gesicht: »Frisch
gewaschen.«
Katie prustete. »Das sieht dir
ähnlich.«
Anne schien es nun dringendst
angeraten, den Kurs der Unterhaltung zu korrigieren: »Sag mal, was machst du
eigentlich, wenn du deinen Bruder nicht findest?«
»Ich finde ihn schon.«
»Und wenn nicht? Wenn dir der Kerl nur
Blödsinn aufgeschrieben hat?«
»Keine Ahnung.« Für diesen Fall hatte
sie wirklich noch keine Lösung parat.
»Vielleicht hat Jeff ja deiner Mutter
geschrieben...«
»Hör mir bloß mit der auf!« giftete
Katie.
»Was pflaumst du mich gleich so an?
Darf man sie nicht einmal erwähnen?«
»Schon gut«, murmelte Katie, und sie
schwiegen. Der Wind trug das gleichmäßige Rauschen des Interstate-Verkehrs zu
ihnen. Ein komisches Kaff, dieses Ludlow, dachte Anne. So dicht am lebhaften
Draht zur Pazifikküste, und nur wenige Schritte vom Haus entfernt fängt das
schiere Nichts an.
»Als mein Vater verunglückte«, sagte
Katie mitten in die Stille hinein, »mußte ich wohl oder übel zurück zu ihr und
ihrem Mustergatten. So richtig nett hatten sie es. Reiheneckhäuschen mit
Doppelgarage, Stiefmütterchen
Weitere Kostenlose Bücher