Schneekuesse
dick eingepackt, durch den verschneiten Wald. Das Wetter ist perfekt. Die letzten Wolken haben sich verzogen und geben den Blick auf einen klaren Sternenhimmel frei.
Zur Begeisterung der Jungs hat Eric drei Fackeln besorgt, die ihnen ihren Weg ausleuchten. Er trägt selber eine, seine andere Hand mag Hannahs Hand gar nicht mehr loslassen.
Hannah geht es genauso. Trotzdem aber dreht sie sich immer mal wieder lachend zu Linda um, die mit einer weiteren Fackel bewaffnet, von Sören und Tjark eingerahmt wird.
Die Jungs sind so aufgeregt, dass sie den Weg hüpfend zurücklegen. Dabei stehen ihre Münder nicht still.
Linda hat sie ganz bewusst, damit Netty mit Ulf reden kann, in ein Gespräch über ihre Weihnachtsgeschenke verwickelt, die sie heute von ihren Verwandten bekommen haben.
„Aber wir kriegen noch ein gaaanz Großes!“, ruft Tjark.
„Ja, das hat Mami versprochen“, stimmt ihm sein Bruder laut zu.
Linda schmunzelt: „So, so, da bin ich ja gespannt … Aber jetzt …“, sie legt den Zeigefinger auf die Lippen, „müsst ihr mal leise sein. Sonst verscheucht ihr alle Tiere.“
„Tiere?“, Sören drückt sich ängstlich gegen seinen älteren Bruder. Er denkt sofort an Wölfe und Bären.
„Mensch, bist du ein Angsthase! Rehe natürlich!“, flüstert Tjark.
Aber als es wenig später im Unterholz tatsächlich knackt, verlässt ihn der Mut. Erschrocken guckt er zu Eric, der sich mit einem Handzeichen zu der Gruppe umgedreht hat.
Wie Linda vorhin hat er den Finger auf die Lippen gelegt.
Sie bleiben stehen und rühren sich nicht mehr vom Fleck. Keiner sagt etwas.
Wieder knackt etwas. Für einen kurzen Moment erkennen sie schattenhafte Umrisse und ein braunes Fell. Ganz kurz sehen sie im Licht der Fackeln zwei dunkle Augen aufleuchten. Dann macht das Wesen einen Satz und verschwindet im Wald.
„War das ein Reh?“, wispert Tjark.
Eric nickt. „Das Feuer unserer Fackeln erschreckt sie. Sonst hätten wir vielleicht noch mehr beobachten können.“
„Das ist ja schade! Aber die Fackeln sind auch schön“, findet Tjark.
„Und sonst könnten wir ja auch gar nichts sehen!“, mischt sich Sören stolz über seine Klugheit ein.
Sie marschieren weiter.
Schweigend laufen Netty und Ulf am Ende der Gruppe nebeneinander her.
Netty wirft immer mal wieder heimliche Seitenblicke zu ihrem Mann rüber, der mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck die Fackel trägt.
Natürlich war er überrascht, als er vorhin damit konfrontiert wurde, Heiligabend mit seinen Wohnungsnachbarinnen und seinem Ferienhausnachbarn zu verbringen. „Wolltest du nicht unbedingt alleine sein?“, hat er Netty zugeraunt.
„Ich erkläre es dir später. Es sind wirklich liebe Menschen“, hat Netty ihm geantwortet.
Mehr Worte haben sie nicht gewechselt.
Jetzt werden seine Schritte plötzlich langsamer.
Netty verringert automatisch ebenfalls ihr Tempo, sodass eine kleine Lücke zu dem Rest der Gruppe entsteht.
„Es …“, sprechen beide gleichzeitig.
„Du zuerst!“, sagt Netty. Sie ist erleichtert, dass das eisige Schweigen gebrochen ist.
Ulf räuspert sich, als falle es ihm schwer, zu reden. „Es war wohl in letzter Zeit nicht leicht für dich …“
Netty nickt nur.
„Ein bisschen viel alles. Die Arbeit, die Kinder, der Haushalt.“
Netty weiß, Ulf wird keine langen Reden schwingen. Diese Einsicht ist schon viel wert. „Ja, ich habe mich selbst verloren. Jede Unbeschwertheit, jedes Lachen – einfach weg. Nur noch grauer Alltag, durch den ich gehetzt bin, ohne nach links und rechts zu sehen.“
„Es hat dir nicht gefallen, dass ich zu Weihnachten auch noch die Verwandten eingeladen habe. Noch mehr Arbeit für dich! Das tut mir leid!“
Netty bleibt stehen. „Ich habe nicht nur mich verloren, sondern wir haben auch uns verloren!“
Ulf schluckt. Mir rauer Stimme sagt er: „Es ist eben schwierig, das alles unter einen Hut zu kriegen. Vielleicht solltest du weniger arbeiten …“
Jetzt wird Netty ärgerlich. „Das ist immer die klassische Lösung, die ihr Männer dann parat habt!“
Unsicher blickt Ulf sie an. „Es war ein großer Schock für mich, dass du so einfach, ohne etwas zu sagen, verschwunden bist. Ich war böse, verletzt, zornig, aber auch traurig. Unheimlich traurig!“
Dieser Gefühlsausbruch ist untypisch für Ulf. Nettys Gesichtszüge glätten sich wieder. „Das war sicher auch nicht fair euch gegenüber, aber ich war einfach so ausgebrannt, so fertig
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