Schneekuesse
…“
„Okay.“ Ulf legt vorsichtig einen Arm um Netty. So sanft, als habe er Angst, sie könne ihm wieder davon laufen, wenn er zu fest zudrücken würde. „Und jetzt? Wie geht es weiter?“
„Es wird besser, du wirst sehen!“, orakelt Netty geheimnisvoll. „Komm!“, sie fühlt sich jetzt komischerweise beschwingt und läuft Arm in Arm mit Ulf einige Schritte, bis sie die Gruppe der anderen erreicht haben.
Da Netty und Ulf die Köpfe gesenkt halten, sehen sie zunächst nur die Rücken der anderen, die einen Halbkreis im Schnee bilden. Dann ein Funkeln, ein Glitzern ...
„Ah!“, entfährt es Netty.
„Psst, Mami!“, mahnt Tjark seine Mutter.
Ehrfurchtsvoll stehen die sonst so kecken Jungs vor dem Tannenbaum, in dem viele Kerzen brennen, die Eric und Hannah eben angezündet haben.
Er ist schlicht. Außer den Lichtern schmücken ihn nur die Strohsterne, sonst nichts. Aber hier draußen im Wald hätte auch nichts anderes gepasst. Er ist kerzengerade gewachsen, dunkelgrün und reich an Zweigen, die zudem vom Schnee mit strahlendem Weiß gesprenkelt sind. Seine Schönheit ist erhaben. Da sind sich alle einig. Schweigend bewundern sie den Baum, der von seinen Brüdern – oder sind es Schwestern? – eingerahmt wird.
„Schaut mal, auch die Sterne bewundern unseren Baum!“, kann sich jetzt Sören das Sprechen nicht länger verkneifen. Er deutet mit seinem kleinen Zeigefinger nach oben.
„Es ist gar nicht so dunkel“, staunt sein Bruder.
Unzählige Sterne beleuchten die Schneelandschaft, als wollten sie dem Weihnachtsbaum noch zusätzlichen Glanz verleihen.
Eric steckt nun noch rings um den Baum die Fackeln in den Schnee.
Linda stimmt leise „Oh du Fröhliche ...“ an, und die anderen singen mit.
„Wenn ich das im Kindergarten erzähle! Ist das unser Baum, gehört der uns?“, fragt Tjark.
„Eigentlich gehört der Baum dem Wald. Aber für heute gehört er euch.“
Die Jungs strahlen und vergessen ganz, wie sonst, nach Geschenken zu fragen.
„So, jetzt gibt’s was Warmes“, Hannah schenkt aus einer Thermoskanne Tee aus. „Und dann lasst uns um den Baum tanzen!“
„Au ja!“, Sörens und Tjarks Zustimmung hat sie.
„Aber vorher möchte ich gerne meiner Familie noch mein Geschenk zeigen“, sagt Netty geheimnisvoll.
„Oh, wo ist es?“, die Jungs sind jetzt endgültig aus dem Häuschen.
Netty stellt sich vor ihre drei Männer und hält ihre Handflächen auf.
„Ich sehe aber gar nichts!“, mault Sören.
Er erntet einen Rippenstoß von seinem Bruder. „Wart’s doch ab!“
Netty streicht ihren beiden Söhnen über die Köpfe. „Mein Geschenk ist unsichtbar. Es ist mehr Zeit!“
„Mehr Zeit?“, wiederholt Tjark ratlos.
Netty geht ein wenig in die Knie und zieht ihre Jungs zu sich heran. „Mehr Zeit für euch! Wir werden wieder mehr gemeinsam unternehmen.“
„Gehen wir in den Zoo?“, fragt Sören sofort.
„Auch das! Und ich verspreche euch, dass ich euch nie wieder nach dem Kindergarten noch mit zu einer Veranstaltung zerre. Wir werden nicht mehr durchs Leben eilen, sondern es gemeinsam genießen und viele schöne Dinge tun.“
Netty dreht sich zu Ulf um. „Es bedeutet auch Zeit nur für uns beide! Zeit, die wir ganz alleine verbringen.“
Ulf bleibt skeptisch. „Wie soll das funktionieren?“
Netty geht einige Schritte auf die Gruppe der anderen zu, die schweigend zugehört haben. Sie nimmt Lindas Arm und führt sie zu ihrer Familie.
„Linda ist das eigentliche Geschenk! Sie spendet uns einen Teil ihrer Zeit, damit wir wieder mehr Zeit haben.“
Tjark und Sören starren Netty und Linda mit offenen Mündern an. „He?“
Linda stellt sich zwischen die beiden. „Ich habe eure Mutter gefragt, ob ich öfters mit euch spielen darf. Sie hat es erlaubt. Ich möchte so gerne eure Freundin sein.“
„Kannst du einen Playmobil-Zoo aufbauen?“, fragt Sören.
„Wenn du mir zeigst, wie das geht?“
„Na logo!“
„Stell dir vor, Linda hat sogar angeboten, mal für uns zu kochen. Und dass sie das phänomenal kann, wirst du ja nachher noch bei der Schusterpastete testen können!“, wendet sich Netty strahlend an Ulf.
Dessen Gesichtszüge haben sich langsam entspannt. Er kapiert endlich, was Netty und Linda vereinbart haben. „Wollen Sie sich das wirklich antun?“
„ Du !“, sagt Linda lächelnd. „Ja, ich habe es mir von Netty gewünscht. Wenn ihr alle einverstanden seid, ist das für mich ebenfalls mein schönstes Geschenk, dass ich
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