Schneemann
bestätigte er, blieb im Bett sitzen und starrte an die kahle Wand, bis er unten die schwere Haustür dröhnend ins Schloss fallen hörte. Dann ging er in die Küche, drehte den Wasserhahn auf und nahm sich ein sauberes Glas aus dem Schrank. Während er wartete, bis das Wasser kalt wurde, glitt sein Blick von dem Kalender mit 0leg und Rakel nach unten auf den Boden. Auf dem Linoleum waren zwei nasse Stiefelabdrücke zu sehen. Die mussten von Rakel stammen.
Er zog sich Jacke und Boots an und wollte schon gehen, drehte sich aber noch einmal um, nahm seine Smith-&-Wesson-Dienstwaffe vom Kleiderschrank und steckte sie in die Manteltasche.
Als er nach unten ging, steckte ihm die körperliche Liebe noch wohlig in den Knochen wie ein milder Rausch. Kurz vor der Haustür ließ ihn jedoch ein leises Klicken aufmerken. Er drehte sich um und blickte in den dunklen Innenhof. Wahrscheinlich wäre er weitergegangen, wären da nicht diese Stiefelabdrücke auf dem Linoleum gewesen. So aber entschied er sich für einen genaueren Blick in den Innenhof. Das gelbe Licht, das durch die Fenster über ihm fiel, wurde von den Schneeresten reflektiert, die auf der schattigeren Seite noch nicht ganz geschmolzen waren.
Er stand neben der Kellertreppe. Eine schiefe Figur mit seltsam geneigtem Kopf, Steinaugen und höhnischem Schottergrinsen.
Ein stummes Lachen, das zwischen den Mauern hallte und sich langsam in ein hysterisches Schreien verwandelte, das Harry aber erst als sein eigenes erkannte, als er die Schneeschaufel packte, die neben der Treppe stand, und in wilder Wut zuschlug. Die scharfe Metallkante auf der Unterseite der Schaufel drang unter dem Kopf ein, schnitt ihn glatt vom Körper und schleuderte den nassen Schnee an die Wand. Der nächste Schlag teilte den Körper des Schneemanns entzwei, und der dritte schleuderte die letzten Reste über den schwarzen Asphalt in der Mitte des Innenhofes. Harry stand keuchend da, als er wieder dieses Klicken hinter sich hörte. Wie das Klicken eines Revolverhahns, der gespannt wurde. Er wirbelte herum, ließ die Schneeschaufel fallen und riss sich noch in der Drehbewegung den Revolver aus der Tasche.
Am Bretterzaun unter der alten Birke standen Muhammed und Salma mucksmäuschenstill und starrten ihren Nachbarn aus großen, verängstigten Kinderaugen an. In den Händen hielten sie beide einen trockenen Zweig. Gute Arme für den Schneemann, hätte Salma den ihren nicht aus Furcht zerbrochen.
“Uns … unser … Schneemann … “, stammelte Muhammed. Harry steckte den Revolver wieder in die Manteltasche und schloss die Augen. Fluchte innerlich, während er schluckte und seinem Hirn befahl, endlich den Schaft der Waffe loszulassen. Dann öffnete er die Augen wieder. Auf Salmas brauner Iris glänzten Tränen.
“Entschuldigt bitte”, flüsterte er, “ich helfe euch, einen neuen zu bauen.”
“Ich will nach Hause”, flüsterte Salma von Tränen erstickt. Muhammed nahm seine kleine Schwester bei der Hand und führte sie in einem Bogen um Harry herum.
Harry blieb stehen, spürte den Kolben der Waffe an der Hand und dachte an das Klicken. Er hatte geglaubt, den Hahn eines Revolvers zu hören, dabei war das gar nicht möglich, denn wenn jemand den Finger auf den Abzug drückte, gab es noch gar kein Geräusch. Das Klicken hörte man erst, wenn sich der Hahn wieder senkte - das war das Geräusch des nicht abgefeuerten Schusses, ein Geräusch des Lebens. Er nahm wieder seine Dienstwaffe hervor. Der Hahn ruhte auf der Rückseite der Revolvertrommel.
Harry drückte den Finger auf den Abzug. Der Hahn rührte sich noch immer nicht. Erst als er den Abzug schon fast zu einem Drittel gedrückt hatte und sich der Schuss jederzeit lösen konnte, begann sich der Hahn zu heben. Harry ließ den Abzug los, und der Hahn fiel mit dem charakteristischen metallischen Klicken zurück. Er erkannte den Laut wieder. Und ihm wurde bewusst, dass jemand, der den Abzug so fest drückte, wirklich schießen wollte.
Als Harry zu seinen eigenen dunklen Fenstern in der dritten Etage hinaufblickte, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Er hatte keine Ahnung, was hinter diesen Fenstern vorging, wenn er nicht zu Hause war.
Erik Lossius saß lustlos in seinem Büro und starrte aus dem Fenster. Er wunderte sich, wie wenig er darüber gewusst hatte, was hinter Birtes braunen Augen vorgegangen war. Und dass es ihm mehr zusetzte zu erfahren, dass sie auch noch andere Männer gehabt hatte, als dass sie verschwunden und
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