Schneemann
wünsche, einen Erben für sein Imperium.
“Haben Sie denn Kinder?”, konterte er.
Als sie diese Frage verneinte, schien er zu ihrer Überraschung jegliches Interesse an ihr und ihrem Gespräch zu verlieren. Deshalb war sie schnell zum Schluss gekommen, hatte ihm die üblichen Ablauf-Informationen über Treffpunkt, Uhrzeit und Schminkzeiten gegeben und darauf hingewiesen, dass er besser nichts Gestreiftes anziehen sollte. Als Letztes hatte sie ihn informiert, es sei grundsätzlich möglich, dass man das Thema und die anderen Gäste noch kurzfristig tauschte, um die Sendung eventuellem tagesaktuellen Geschehen anzupassen.
Und jetzt stand Arve Støp hier im Aufenthaltsraum von Studio 1. Er kam direkt vom Schminken. Mit seinen blauen, intensiven Augen und seinen frisch frisierten, aber doch etwas zu langen, dichten grauen Haaren sah er richtig rebellisch aus. Er trug einen einfachen grauen Anzug, dem man ansah, dass er ein Vermögen gekostet hatte, ohne dass man das auch nur an einem einzigen Faden festmachen konnte. Er streckte gerade seine sonnengebräunte Hand aus, um die Psychologin zu begrüßen, die Erdnüsse knabbernd und Wein nippend auf dem Sofa saß.
“Ich wusste ja gar nicht, dass Psychologinnen so hübsch sein können”, schmeichelte er. “Ich hoffe, die Menschen bekommen auch mit, was Sie sagen.”
Oda sah das Zögern der Psychologin, ehe sie breit lächelte. Und obgleich die Frau ganz offensichtlich wusste, dass Støps Kompliment ein Spaß war, entnahm Oda dem Glitzern in ihren Augen, dass es sie nicht unberührt gelassen hatte.
“Hallo! Ich danke Ihnen, dass Sie alle gekommen sind!” Bosse Eggen kam in den Raum gefegt und begann die Gäste von links nach rechts zu begrüßen. Er gab jedem die Hand, sah ihm in die Augen und drückte noch einmal seine Freude über das Kommen jedes Einzelnen aus. Dann verkündete er, dass man ihn und seine Gäste jederzeit unterbrechen dürfe, das würde ihre Diskussion nur zusätzlich beleben.
Gubbe, der Produzent, bat Støp und Bosse kurz ins Nebenzimmer, um das Hauptinterview und den Start der Sendung zu besprechen. Oda sah auf die Uhr. Noch achteinhalb Minuten bis zur Sendung. Langsam machte sie sich Sorgen und überlegte, ob sie die Rezeption anrufen sollte, um nachzufragen, ob er vielleicht dort wartete. Der eigentliche Hauptgast. Ihr Volltreffer. Doch als sie den Blick hob, stand er plötzlich mit einer Assistentin vor ihr. Oda spürte, wie ihr Herz einen Sprung machte. Er war nicht direkt gutaussehend, vielleicht sogar eher hässlich, aber sie gestand sich ohne weiteres ein, dass sie sich irgendwie von ihm angezogen fühlte. Sicher hatte diese Anziehung aber auch damit zu tun, dass er der Gast war, den im Augenblick alle Fernsehredaktionen Norwegens mit Kusshand genommen hätten. Denn er war der Mann, der den Schneemann überführt und damit den seit langem größten Kriminalfall Norwegens gelöst hatte.
“Ich hatte ja schon angekündigt, dass es etwas knapp wird”, entschuldigte sich Harry, bevor sie überhaupt etwas sagen konnte.
Sie versuchte den Geruch seines Atems zu erschnuppern. Beim letzten Mal war er sichtlich angetrunken gewesen und hatte die ganze Nation verärgert. Zumindest etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent davon.
“Wir sind froh, dass Sie da sind”, zwitscherte sie. “Sie kommen ja auch erst als Zweiter dran. Bitte bleiben Sie dann aber den Rest der Show sitzen, die anderen werden der Reihe nach ausgewechselt.”
“Okay”, sagte er.
“Bringen Sie ihn direkt in den Schminkraum “, trug Oda der Assistentin auf. “Guri soll sich um ihn kümmern.”
Guri war nicht bloß effektiv, sondern verstand sich auch bestens darauf, mit einfachen und auch weniger einfachen Tricks aus einem müden Gesicht eine für das Fernsehpublikum ansprechende Erscheinung zu machen.
Sie verschwanden, und Oda atmete einmal tief durch. Ja, sie liebte diese letzten zittrigen Minuten, dieses ganze Chaos, das sich dann doch immer in Wohlgefallen auflöste.
Bosse und Støp kamen aus dem Nebenzimmer zurück. Sie hob die Fäuste, um ihrem Chef die gedrückten Daumen zu zeigen, und hörte das Klatschen des Publikums, als die Tür langsam ins Schloss fiel. Auf dem Monitor sah sie, wie Bosse auf seinem Stuhl Platz nahm. Sie wusste, dass der Aufnahmeleiter jetzt den Countdown startete. Dann setzte die Musik ein, und die Sendung begann.
Oda spürte, dass etwas schief lief. Sie näherten sich dem Ende der Sendung, und alles hatte wie am Schnürchen
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