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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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studiert, in denen mehr als zehn Jahre vergangen waren, bis sie die Täter gefunden hatten. In der Regel war es ein kleines, unbedeutendes, zufälliges Detail, das den Fall dann schließlich doch gelöst hatte. Was aber eigentlich dahinterstand, war der zähe Wille, nicht aufzugeben, jede dieser fünfzehn Runden zu überstehen. Wenn der Gegner am Ende noch stand, musste man eben einen Rückkampf fordern.
    Das nachmittägliche Dunkel kroch langsam von der Stadt nach oben, und rundherum gingen die Lichter an.
    Sie mussten mit ihrer Suche dort anfangen, wo es Licht gab. Das war eine banale, aber wichtige Arbeitsregel. Fang dort an, wo du eine Spur hast. In diesem Fall hieß das, bei der am wenigsten wahrscheinlichen Person anzufangen, die er sich denken konnte, bei der verrücktesten Idee, die er jemals gehabt hatte.
    Harry seufzte. Nahm das Handy und scrollte sich durch die Liste der letzten Anrufer. Es waren nicht so viele, daher war das äußerst kurze Gespräch im Hotel Leon noch gespeichert. Er drückte OK, und das Handy wählte die Nummer.
    Bosses Akquisitionsdame Oda Paulsen antwortete sofort mit ihrer fröhlichen, etwas atemlosen Stimme, als würde sie in jedem eingehenden Anruf eine spannende, neue Möglichkeit sehen. Und in diesem Fall hatte sie damit sogar recht.

KAPITEL 21
    18. Tag. Wartezimmer
    Es war der Raum des großen Zitterns. Vielleicht wurde er deshalb von einigen voller Ehrfurcht “Wartezimmer” genannt, wie beim Zahnarzt. Oder “Vorzimmer”, als ob die schwere Tür, die die kleine Sofagruppe vom Studio 1 trennte, in etwas Wichtiges, ja Heiliges führte. Dabei hieß dieser Bereich auf dem umfangreichen Gebäudeplan des norwegischen Staatsfernsehens NRK in Oslo-Marienlyst schlicht und einfach “Aufenthaltsraum Studio 1”. Und trotzdem war dieses kleine Zimmer der aufregendste Platz, den Oda Paulsen kannte.
    Vier von den sechs Gästen der abendlichen “Bosse”-Sendung waren bereits eingetroffen. Wie üblich handelte es sich dabei um die weniger bekannten, weniger wichtigen. Sie saßen geschminkt und mit vor Nervosität roten Wangen auf den Sofas, unterhielten sich angespannt und nippten an ihrem Tee oder Rotwein, während ihre Blicke immer wieder zum Monitor huschten, der eine Totale des Studios auf der anderen Seite der Wand zeigte. Das Publikum war bereits hereingelassen worden, und der Aufnahmeleiter gab Anweisungen, wie geklatscht, gelacht und gejubelt werden solle. Außerdem zeigte das Bild den Stuhl des Moderators und die vier Gästestühle, die noch verwaist dastanden und auf Menschen, Themen und Unterhaltung warteten.
    Oda liebte diese intensiven, nervösen Minuten vor den Livesendungen. Jeden Freitag standen sie für vierzig Minuten so im Mittelpunkt der Welt, wie das in Norwegen nur möglich war. Mit einer Einschaltquote von zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent, was für eine Talkshow sehr gut war. Wer hier arbeitete, war nicht nur dabei, sondern ein Teil des Ganzen. Sie waren so etwas wie der magnetische Nordpol der Aufmerksamkeit, der alles an sich zog. Und weil Aufmerksamkeit süchtig macht und es am Nordpol nur eine Himmelsrichtung gibt - Süden, also nach unten-, klammerte sich hier jeder an seinen Job. Eine Freelancerin wie Oda musste Erfolge bringen, um auch in der nächsten Saison noch bleiben zu dürfen. Deshalb hatte sie sich auch so unbändig über den Anruf gestern Nachmittag kurz vor der Redaktionssitzung gefreut. Bosse Eggen hatte sie persönlich angelächelt und gemeint, ja, das sei ein echter Volltreffer. Ihr Volltreffer.
    Das Thema des Abends lautete “Die Spiele der Erwachsenen”.
    Ein typisches Bosse-Thema, hinlänglich seriös, aber nicht zu ernst. Jeder der Gäste dürfte sich halbwegs qualifiziert fühlen, darüber etwas zu sagen. In der Runde saß zwar auch eine Psychologin, die eine Arbeit über dieses Thema geschrieben hatte, doch der eigentliche Hauptgast war Arve Støp, der aufgrund des bevorstehenden fünfundzwanzigjährigen Jubiläums von Liberal eingeladen worden war. Es hatte nicht den Eindruck gemacht, als hätte Støp etwas dagegen einzuwenden, sich als verspielten Erwachsenen darzustellen, als Playboy. Oda war zu einem vorbereitenden Gespräch bei ihm zu Hause gewesen. Er hatte nur gelacht, als sie eine Parallele zum alternden Hugh Hefner zog, der mit Morgenrock und Pfeife eine immerwährende Junggesellenparty in seiner Residenz feierte. Sie spürte seinen Blick auf sich, musternd und neugierig, bis sie ihn fragte, ob er sich nicht auch Kinder

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