Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
war sie bloß eine einfache Kommissarin, und noch dazu neu.
    Aber Katrine Bratt lächelte bloß, als hätte er etwas Witziges gesagt, ging durch die Tür und war weg.
    Verschwunden. Apropos. Skarre fluchte, richtete sich wieder auf und schaltete den PC ein.
     
    Harry wachte auf, blieb auf dem Rücken im Bett liegen und starrte an die Decke. Wie lange hatte er geschlafen? Er drehte sich um und blickte auf die Uhr auf dem Nachttischchen. Viertel vor vier.
    Das Essen war eine Quälerei gewesen. Er hatte zugesehen, wie Rakels Mund redete, Wein trank, Fleisch kaute und ihn mit Haut und Haaren auffraß, während sie davon sprach, mit Mathias für ein paar Jahre nach Botswana zu gehen. Die Regierung dort habe ein gutes Programm zur Aidsbekämpfung ins Leben gerufen, aber es fehlten Ärzte. Auf ihre Frage, ob er sich wieder mit jemandem träfe, nannte er seine Jugendfreunde 0ystein und Holzschuh. Der eine ein alkoholkranker, Taxi fahrender Computerfreak, der andere ein alkoholkranker Spieler. Letzterer hätte Weltmeister im Pokern sein können, wenn es ihm nur gelänge, sein eigenes Gesicht genauso perfekt unter Kontrolle zu haben, wie er das der anderen zu lesen vermochte. Er erzählte ihr sogar von Holzschuhs fataler WM-Niederlage in Las Vegas, bis ihm mit einem Mal klar wurde, dass er das alles schon einmal erzählt hatte. Außerdem stimmte es nicht, dass er sie traf. Er traf sich mit niemandem.
    Er beobachtete, wie der Kellner die Gläser am Nebentisch mit Schnaps füllte, und hätte ihm in einem Moment geistiger Umnachtung beinahe die Flasche entrissen und sich an den Mund gesetzt. Stattdessen willigte er ein, mit Oleg in das Konzert zu gehen, mit dem er seiner Mutter schon seit Wochen in den Ohren lag. Slipknot. Harry hatte sie im Unklaren gelassen, was für eine Band sie da auf ihren Sohn loslassen wollte, denn obgleich ihn diese Bands mit ihrem obligatorischen Todesröcheln, ihren Satanszeichen und Highspeed-Basstrommeln in der Regel nur amüsierten, hatte er Lust, sich diese Band einmal anzuhören. Slipknot hatte definitiv etwas.
    Harry schlug die Bettdecke zurück und ging in die Küche. Er ließ das Wasser laufen, bis es kalt war, legte die Hände zusammen und trank. Aus der eigenen Hand, von der eigenen Haut hatte ihm das Wasser schon immer am besten geschmeckt. Dann erschrak er, ließ das Wasser ins Becken klatschen und starrte an die schwarze Wand. War da nicht etwas gewesen? Hatte sich da nicht etwas bewegt? Oder war das nur die Bewegung der Luft, wie eine unsichtbare Welle, die unter Wasser über das Seegras streicht? Über tote Fährten, Finger, die so dünn waren, dass man sie nicht mehr sah, Sporen, die schon vom leichtesten Lufthauch fortgetragen werden, um dann an anderen Stellen erneut zu fressen und zu saugen. Harry schaltete das Radio im Wohnzimmer ein. Es war entschieden. George W. Bush würde eine zweite Amtszeit im Weißen Haus antreten.
    Harry ging zurück ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf.
     
    Jonas wachte von einem Geräusch auf und zog sich die Decke vom Gesicht. Er war ganz sicher, ein Geräusch gehört zu haben. Ein Knirschen wie von Schnee unter schweren Stiefeln, das die Stille des Sonntagmorgens zwischen ihren Häusern zerriss. Er musste geträumt haben. Aber der Schlaf wollte sich nicht wieder einstellen, obwohl er die Augen schloss. Stattdessen meldeten sich wieder Teile seines Traumes. Er sah seinen Vater reglos und still vor sich stehen. Das funkelnde Licht ließ seine Brillengläser zu einer undurchdringlichen, eisigen Oberfläche werden.
    Es musste ein Alptraum gewesen sein, denn Jonas hatte Angst.
    Er schlug die Augen wieder auf und sah, wie sich die Metallstangen unter der Decke bewegten. Dann sprang er aus dem Bett, öffnete die Tür und lief über den Flur. Es gelang ihm, nicht in das Dunkel im Erdgeschoss zu starren, sondern ohne Pause bis vor das Schlafzimmer seiner Eltern zu rennen. Unendlich vorsichtig drückte er die Klinke nach unten. Dann fiel ihm ein, dass sein Vater verreist war, und Mama würde er ja ohnehin wecken. Er schlüpfte ins Zimmer. Ein weißes Viereck aus Mondlicht zog sich über den Boden bis zum unberührten Doppelbett. Die Zahlen des Radioweckers strahlten ihm entgegen. 01: 11. Jonas blieb einen Augenblick verwirrt stehen.
    Dann ging er wieder auf den Flur. Zurück zur Treppe, auf der das Dunkel bereits wie ein riesiger, klaffender Schlund auf ihn wartete. Von unten war kein Laut zu hören.
    “Mama!”
    Er ärgerte sich, als er hörte, wie

Weitere Kostenlose Bücher