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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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mitten in der Nacht aus dem Staub. Und da war noch etwas. In der Regel kümmerte sich die Polizei nicht um Fälle, bei denen die gesuchten Personen erst so kurz vermisst wurden. Außer es gab einen Anhaltspunkt, der für einen kriminellen oder anderweitig dramatischen Hintergrund sprach. Genau das hatte ihn bewogen, persönlich hier herauf nach Hoff zu fahren.
    “Manchmal weiß man nicht, wonach man sucht, bis man es gefunden hat”, antwortete Harry. “Das ist eine Arbeitsmethode.” Es gelang ihm, Beckers Augen durch die Brillengläser zu fixieren. Sie waren nicht wie die seines Sohnes, sondern glänzten durchdringend hellblau.
    “Bitte”, sagte Becker, “sehen Sie sich ruhig um.”
    Das Schlafzimmer war kühl, geruchsfrei und aufgeräumt. Auf dem Doppelbett lag eine gehäkelte Decke. Das Bild einer älteren Frau stand auf einem der Nachtschränkchen. Die Ähnlichkeit ließ Harry annehmen, dass dies Filip Beckers Seite war. Auf dem anderen Nachtschränkchen stand ein Foto von Jonas. Im Kleiderschrank mit den Frauenkleidern roch es schwach nach Parfüm. Harry überprüfte, ob die Haken der Kleiderbügel im gleichen Abstand voneinander hingen, wie das meistens der Fall war, wenn sie eine Zeitlang in Ruhe gelassen worden waren. Schwarze Kleider mit Schlitz und kurze rosafarbene Pullover mit Pailletten. Unten im Schrank befand sich ein Schubladenelement. Er zog die oberste Lade heraus. Unterwäsche. Schwarz und rot. Nächste Schublade. Hüfthalter und Strümpfe. Dritte Schublade. Schmuck, drapiert auf knallrotem Filz. Ein dicker, protziger Ring mit glitzernden Steinen fiel ihm auf. Hier erinnerte alles ein bisschen an Las Vegas. Und auf dem ganzen Filz kein freies Plätzchen mehr.
    Vom Schlafzimmer führte eine Tür direkt in ein frisch renoviertes Bad mit Dampfdusche und zwei Edelstahlwaschbecken.
    In Jonas’ Zimmer setzte Harry sich auf einen kleinen Stuhl. Auf dem niedrigen Tisch stand ein Taschenrechner mit einer Reihe von komplizierten, mathematischen Funktionen. Er sah neu und unbenutzt aus. Über dem Tisch hing ein Poster mit sieben Delphinen und ein Ganzjahreskalender. Ein paar Zahlen waren eingekreist und mit kleinen Vermerken versehen. Harry las, dass es sich um die Geburtstage von Mama und Opa handelte, die Ferien in Dänemark und einen Zahnarzttermin morgens um zehn. An zwei Tagen im Juli stand bloß “Doktor”. Aber Harry fand keine Einträge für Fußballspiele, Kinobesuche oder Geburtstagspartys. Dann fiel ihm ein rosa Schal auf, der auf dem Bett lag. Eine Farbe, mit der bestimmt kein Junge in Jonas’ Alter gesehen werden wollte. Harry hob den Schal hoch. Er war feucht, trotzdem nahm er den typischen Geruch von Haut, Haaren und weiblichem Parfüm wahr. Das gleiche Parfüm, das er auch im Kleiderschrank gerochen hatte.
    Er ging wieder nach unten. Blieb vor der Küche stehen und lauschte Skarre, der einen Vortrag darüber hielt, wie man in der Regel bei Vermisstenmeldungen vorging. Kaffeetassen klirrten. Das Sofa im Wohnzimmer wirkte riesig, vielleicht wegen der schmächtigen Gestalt, die darauf saß und in ein Buch blickte. Harry trat näher heran und sah ein Bild von Charlie Chaplin in voller Montur.
    “Wusstest du, dass Chaplin ein englischer Ritter war?”, fragte Harry. “Sir Charles.”
    Jonas nickte. “Aber in den USA haben sie ihn rausgeworfen.” Jonas blätterte.
    “Warst du im Sommer krank, Jonas?” “Nein.”
    “Aber du warst beim Arzt. Zweimal.”
    “Mama wollte mich bloß untersuchen lassen. Mama … ” Seine Stimme versagte plötzlich.
    “Du wirst schon sehen, sie kommt bald wieder”, sagte Harry und legte eine Hand auf die schmale Schulter des Jungen. “Sie hat ja nicht mal ihren Schal mitgenommen. Den rosanen, der oben in deinem Zimmer liegt.”
    “Jemand hat den um den Hals des Schneemanns gewickelt”, sagte Jonas. “Ich hab ihn mit ins Haus genommen.”
    “Deine Mutter wollte sicher, dass er nicht friert.”
    “Sie hätte ihren Lieblingsschal niemals dem Schneemann gegeben.”
    “Dann war das sicher dein Papa.”
    “Nein, das hat jemand gemacht, nachdem Papa weg war. Heute Nacht. Der, der Mama geholt hat.”
    Harry nickte langsam. “Wer hat eigentlich diesen Schneemann gebaut, Jonas? “
    “Weiß nicht.”
    Harry sah durch das Fenster in den Garten. Deshalb war er gekommen. Genau aus diesem Grund. Plötzlich war es ihm, als spürte er einen eisigen Hauch durch die Wand und das Zimmer ziehen.
    Harry und Katrine saßen im Auto und fuhren über den

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