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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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um wichtige Kürzungen.
    “Bei den meisten Vermissten handelt es sich um Menschen aus psychiatrischen Kliniken oder um demente Senioren”, fuhr Harry fort. “Aber auch die geistig Fitten, die es bis nach Kopenhagen schaffen oder sich das Leben genommen haben, werden gefunden. Sie tauchen auf Passagierlisten auf, ziehen sich Geld aus dem Bankornat oder werden an einem Strand angeschwemmt.”
    “Worauf willst du hinaus, Harry?”, fragte Gunnar Hagen und blickte auf die Uhr.
    “Auf das hier”, sagte Harry und warf eine gelbe Mappe auf den Schreibtisch seines Vorgesetzten.
    Hagen beugte sich vor und blätterte die zusammengehefteten Zettel durch.
    “Ich muss schon sagen, Harry, du bist sonst ja nicht gerade der große Berichtschreiber.”
    “Das ist Skarres Produkt”, sagte Harry kurz. “Aber die Schlussfolgerung ist von mir, und die folgt jetzt mündlich.”
    “Bitte fass dich kurz, ja?”
    Harry starrte auf seine Hände, die er in den Schoß gelegt hatte.
    Seine langen Beine hatte er ausgestreckt. Er holte tief Luft. Wusste, dass es keinen Weg mehr zurück gab, wenn er es erst ausgesprochen hatte.
    “Es sind zu viele verschwunden”, begann Harry.
    Die rechte Hälfte von Hagens Augenbrauen zuckte nach oben. “Das musst du mir erklären.”
    “Die Erklärung findest du auf Seite 6. Eine Übersicht über vermisste Frauen im Alter von fünfundzwanzig bis fünfzig zwischen 1995 und heute. Frauen, die in den letzten zehn Jahren nicht wieder aufgetaucht sind. Ich habe mit der Vermisstenstelle der Kriminalwache gesprochen, und die sind ganz meiner Meinung. Das sind einfach zu viele.”
    “Zu viele im Vergleich zu was?”
    “Zu früheren Jahren. Zu Dänemark und Schweden. Und im Vergleich zu anderen demographischen Gruppen. Die verheirateten oder in festen Beziehungen lebenden Frauen sind total überrepräsentiert. “
    “Die Frauen sind heute selbständiger als früher”, gab Hagen zu bedenken. “Manch eine geht ihren eigenen Weg, bricht aus, verschwindet möglicherweise mit einem anderen Mann ins Ausland. Das merkt man dann an der Statistik. Was soll da schon dran sein?”
    “Aber die sind auch in Dänemark und Schweden selbständiger. Und da finden sie sie ja auch wieder.”
    Hagen seufzte. “Wenn die Zahlen so vom Durchschnitt abweichen, wie du meinst, hätte man das doch vorher bemerken müssen?”
    “Skarres Zahlen beziehen sich auf das ganze Land. Vermisstenmeldungen werden sonst nur in den jeweiligen Distrikten behandelt. Das Kriminalamt führt zwar ein landesweites Vermisstenregister, aber das bezieht sich auf die letzten fünfzig Jahre und umfasst auch die Vermissten von Schiffbrüchen und großen Unglücken wie der Alexander Kielland. Der Punkt ist, dass sich nie jemand für ein Muster im ganzen Land interessiert hat. Niemand vor uns.”
    “Okay, aber wir haben nicht die Verantwortung für das ganze Land, Harry. Wir sind hier in Oslo.” Hagen schlug mit beiden Handflächen auf die Tischplatte, um zu signalisieren, dass die Audienz vorüber war.
    “Das Problem ist aber”, wandte Harry ein und rieb sich das Kinn, “dass es nach Oslo gekommen ist.”
    “Was es?”
    “Gestern Abend habe ich das Handy von Birte Becker in einem Schneemann gefunden. Ich weiß wirklich nicht, was es ist, Chef. Aber ich glaube, es ist wichtig, das herauszufinden. Und zwar so schnell wie möglich.”
    “Statistik ist interessant”, sagte Hagen, griff geistesabwesend nach dem Knochen von Bataillonskommandant Yasuda und drückte mit dem Fingernagel dagegen. “Und ich verstehe auch, dass diese letzte Vermisstensache Grund zur Besorgnis gibt. Aber das reicht nicht. Also sag mir, was hat dich dazu veranlasst, Skarre auf diese Sache anzusetzen?”
    Harry sah Hagen an. Dann zog er einen zerknitterten Umschlag aus der Innentasche und reichte ihn Hagen.
    “Der lag in meinem Briefkasten, kurz nach meinem Auftritt im September in dieser Fernsehsendung. Bis jetzt habe ich das bloß für Unsinn gehalten.”
    Hagen zog den Zettel heraus und sah Harry kopfschüttelnd an, nachdem er die sechs Zeilen gelesen hatte: “Schneemann? Und was soll The Murri bedeuten?”
    “Das ist es ja eben”, sagte Harry. “Ich fürchte, dass es eben das ist.”
    Sein Chef sah ihn verständnislos an.
    “Ich hoffe, ich irre mich”, fuhr Harry fort. “Aber ich fürchte, vor uns liegen verdammt finstere Zeiten.” Hagen seufzte. “Was willst du, Harry?”
    “Eine Ermittlungsgruppe. “
    Hagen starrte Harry an. Wie die meisten anderen im

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