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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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chirurgischen Klinik auf Bygdoy hat er noch nie gehört, aber er hat die Einwilligung zur Aufhebung der Schweigepflicht unterzeichnet.” Sie legte einen zusammengefalteten Zettel auf den Schreibtisch.
    Ein eiskalter Wind blies über die Tribünen des Eisstadions Valle Hovin, wo Harry saß und den Eisläufern nachblickte, wie sie ihre Runden drehten. Olegs Technik war im letzten Jahr weicher und effektiver geworden. Jedes Mal, wenn sein Kumpel beschleunigte und an ihm vorbei wollte, ging Oleg etwas tiefer, legte mehr Kraft in den Abstoß und glitt ruhig davon.
    Harry rief Espen Lepsvik an, und sie brachten sich gegenseitig auf den neuesten Stand. Dabei erfuhr Harry, dass am Tag von Birte Beckers Verschwinden spätabends ein dunkler Kombi bei der Einfahrt in den Hoffsveien beobachtet worden und dieser Wagen kurz darauf in umgekehrter Richtung wieder zurückgefahren war.
    “Ein dunkler Kombi “, bibberte Harry missmutig. “Irgendwann am späten Abend.”
    “Ja, ich weiß, das ist nicht viel”, seufzte Lepsvik.
    Harry steckte das Handy in die Jackentasche, als er bemerkte, dass sich ein Schatten vor das Flutlicht geschoben hatte.
    ” Tut mir leid, ich bin ein bisschen spät.”
    Er blickte auf und sah in das freundlich lächelnde Gesicht von Mathias Lund-Helgesen. Rakels Abgesandter setzte sich. “Magst du Wintersport, Harry?”
    Harry stellte fest, dass Mathias’ Blick sehr klar und direkt war und er einem mit seinem intensiven Gesichtsausdruck den Eindruck vermittelte, zuzuhören, auch wenn er selbst sprach. “Nicht sonderlich, Eisschnelllauf vielleicht. Und du?” Mathias schüttelte den Kopf. “Aber ich habe mir etwas vorgenommen. An dem Tag, an dem ich mein Lebenswerk vollendet
    habe und so krank bin, dass ich nicht mehr will, werde ich mit dem Fahrstuhl da oben auf den Turm fahren.”
    Er zeigte mit dem Daumen über seine Schulter. Harry brauchte sich nicht umzublicken. Der Holmenkollen, Oslos Lieblingsmonument und schlechteste Sprungschanze, war von überall in der Stadt zu sehen.
    “Und dann springe ich. Nicht mit Skiern, sondern vom Turm.” ” Wie dramatisch”, sagte Harry.
    Mathias lächelte. “Vierzig Meter freier Fall. Ein paar Sekunden, und alles ist vorbei.”
    “Steht hoffentlich nicht so bald an?”, erkundigte sich Harry. “Bei dem Wert an Anti-SCL-70 im Blut kann man nie wissen”, lachte Mathias düster.
    “Anti-SCL-70?”
    “Na ja, Antistoffe sind ja eigentlich gut, aber trotzdem sollte man misstrauisch sein, wenn welche auftauchen. Die sind ja nicht ohne Grund da.”
    “Hm. Ich dachte eigentlich, Selbstmord wäre ein ketzerischer Gedanke für einen Arzt.”
    “Keiner weiß besser als Ärzte, was gewisse Krankheiten bedeuten. Ich stütze mich da auf den Stoiker Zenon, der meinte, Selbstmord sei eine achtbare Tat, wenn die Krankheit den Tod attraktiver werden lässt als das Leben. Mit achtundneunzig Jahren hat er sich den großen Zeh ausgekugelt. Das hat ihn derart geärgert, dass er nach Hause gegangen ist und sich erhängt hat.”
    “Und warum nicht erhängen, statt sich die Mühe zu machen, extra auf den Holmenkollen hochzufahren?”
    “Na ja, der Tod soll doch auch eine Hymne an das Leben sein.
    Außerdem gefällt mir der Gedanke an die Publicity, die so ein Abgang mit sich bringen würde. Meine Forschung bräuchte dringend ein bisschen mehr Öffentlichkeit.” Mathias’ joviales Lachen wurde von raschen Schlittschuhschritten zerstückelt. “Tut mir übrigens leid, dass ich Oleg neue Schlittschuhe gekauft habe. Rakel hat mir erst hinterher gesagt, dass du das als Geburtstagsgeschenk für ihn geplant hattest.”
    “Schon in Ordnung.”
    “Er hätte sie lieber von dir gekriegt, weißt du.” Harry antwortete nicht.
    “Ich beneide dich, Harry. Du kannst hier sitzen und Zeitung lesen, telefonieren, mit anderen reden - für Oleg reicht es, wenn du einfach nur da bist. Ich kann ihn anfeuern, ihm Tipps geben, alles so machen wie ein guter, engagierter Vater, und er ärgert sich nur darüber. Weißt du eigentlich, dass er seine Schlittschuhe jeden Tag schleift, weil du das so gemacht hast? Und bis Rakel ihn gezwungen hat, sie im Haus aufzubewahren, lagen sie immer draußen auf der Treppe, weil du mal gesagt hast, dass der Stahl der Kufen immer kalt gelagert werden müsse. Du bist sein absolutes Vorbild, Harry.”
    Harry schauderte bei dem Gedanken. Aber irgendwo in seinem Inneren - nein, gar nicht so tief in seinem Inneren - freute er sich, das zu hören. Er war ein

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