Schneemann
seinem Gesicht gewichen zu sein, als wäre sein Gesicht im Laufe weniger Sekunden um Jahre gealtert.
“Rufen Sie uns an, sollten Sie irgendwo eine kleine Lücke in der Schweigepflichtverordnung finden”, empfahl Harry.
Harry und Katrine hatten noch nicht einmal zur Hälfte die Tür erreicht, als Vetlesen sie zurückrief.
“Sie waren hier, um sich untersuchen zu lassen”, erklärte er.
“Das war alles.”
“Untersuchen lassen? Weswegen?”, fragte Harry. “Wegen einer Krankheit.”
“Die gleiche Krankheit? Welche?” “Das ist nicht wichtig.”
“Tja.” Harry wandte sich wieder zur Tür. “Sie können ja einfach einmal annehmen, dass es auch nicht so wichtig ist, wenn wir Sie als Zeugen vorladen. Wir haben ja nichts Ungesetzliches gefunden.”
“Warten Sie!”
Harry drehte sich um. Vetlesen stützte sich auf die Ellenbogen und legte das Gesicht in seine Hände.
“Das Fahr’sche Syndrom.”
“Fahr’sche Syndrom?”
“Eine seltene Erbkrankheit, die ein bisschen an Alzheimer erinnert. Man verliert gewisse Fähigkeiten, vor allem kognitiver Art, und wird steif in den Gelenken. Die meisten erkranken erst nach dem dreißigsten Lebensjahr, man kann es aber auch schon als Kind bekommen.”
“Hm. Und Birte und Sylvia wussten also, dass ihre Kinder diese Krankheit haben?”
“Sie hatten nur den Verdacht, als sie zu mir kamen. Morbus Fahr ist schwer zu diagnostizieren, und Birte Becker und Sylvia Ottersen waren schon bei einigen Ärzten gewesen, ohne dass jemand bei ihren Kindern etwas gefunden hatte. Ich meine mich zu erinnern, dass beide im Internet recherchiert haben, die Symptome eingegeben haben und über eine Suchmaschine bei diesem Syndrom gelandet sind, das erschreckend gut passte.”
“Und dann haben sie ausgerechnet mit Ihnen Kontakt aufgenommen? Einem plastischen Chirurgen?”
“Ich bin zufälligerweise Spezialist für Morbus Fahr.” “Zufälligerweise? “
“In Norwegen gibt es nur etwa 18000 Ärzte. Wissen Sie, wie viele bekannte Krankheiten es in der Welt gibt?” Vetlesen wies mit einer Kopfbewegung auf die Diplome an der Wand. “Morbus Fahr war rein zufällig Teil eines Seminars in der Schweiz, bei dem es eigentlich um Nervenbahnen ging. Das bisschen, das ich da gelernt habe, reicht aus, um hier in Norwegen als Spezialist zu gelten.”
“Was können Sie uns über Birte Becker und Sylvia Ottersen sagen?”
Vetlesen zuckte mit den Schultern. “Sie waren einmal im Jahr mit ihren Kindern hier. Ich habe sie untersucht und dabei keine Verstärkung der Symptome erkannt. Mehr weiß ich nicht über ihr Leben. Oder um es anders auszudrücken … ” Er warf die Haare zurück. “über ihren Tod.”
“Glaubst du ihm?”, fragte Harry, als sie an den leeren Weiden vorbeifuhren.
“Nicht ganz”, meinte Katrine.
“Ich auch nicht”, erwiderte Harry. “Ich glaube, wir sollten uns hierauf konzentrieren und Bergen erst mal auf Eis legen.”
“Nein”, protestierte Katrine. “Nein?”
“Hier gibt es irgendwo eine Verbindung.” “Lass hören.”
“Ich weiß auch nicht, … es hört sich verrückt an, aber vielleicht gibt es irgendeine Verbindung zwischen Rafto und Vetlesen. Vielleicht hat sich Rafto deshalb all die Jahre verstecken können?” “Wie meinst du das?”
“Na, er kann sich doch ganz einfach eine Art Maske angeschafft haben. Eine echte Maske. Eine Gesichtsoperation.”
“Bei Vetlesen?”
“Das könnte erklären, wieso die Kinder von zweien der Opfer bei ihm in Behandlung sind. Vielleicht hat Rafto Birte und Sylvia in der Praxis gesehen und sie als neue Opfer ausgewählt.”
“Du bist zu schnell”, mahnte Harry.
“Zu schnell?”
“Diese Art von Mordermittlung ist wie ein Puzzle. Zu Beginn suchen wir nur die Teile zusammen, drehen und wenden sie um, und zwar mit viel Geduld. Du versuchst jetzt aber schon, die Teile zusammenzufügen.”
“Ich wollte es doch nur mal laut aussprechen. Um zu hören, ob
es sich idiotisch anhört.”
“Es hört sich idiotisch an.”
“Das ist aber nicht der Weg zum Präsidium”, bemerkte sie. Harry hörte ein seltsames Zittern in ihrer Stimme und blickte
zu ihr. Doch ihr war nichts anzusehen.
“Ich hätte Lust, ein paar von Vetlesens Angaben nachzuprüfen”, erklärte Harry. “Bei einem, den ich kenne und der Vetlesen kennt.”
Mathias trug einen weißen Kittel und gewöhnliche gelbe Putzhandschuhe, als er Harry und Katrine in der Garage unter dem braunen Gebäude der Gaustad-Klinik, dicht am Ring 3,
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