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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Schmerz die scharfen Kanten zu nehmen, diesem Tag, dieser Nacht.
    Es klopfte.
    “Ja! “, brüllte Harry und zuckte beim Geräusch seiner wütenden Stimme zusammen.
    Die Tür ging auf, und ein schwarzes Gesicht kam zum Vorschein.
    Harry musterte die Frau. Sie hatte hübsche, ausgeprägte Gesichtszüge und trug eine Jacke, die so kurz war, dass die Fettwülste über ihrem engen Hosenbund zum Vorschein traten.
    “Doctor?”, fragte sie. Die Betonung auf der letzten Silbe gab dem Wort einen französischen Klang.
    Er schüttelte den Kopf. Sie sah ihn an. Dann schloss sie die Tür und war wieder verschwunden.
    Es vergingen ein paar Sekunden, bis Harry aufsprang und ihr nachlief. Die Frau war bereits am Ende des Flurs. “Please!”, rief Harry. “Please, come back!”
    Sie blieb stehen und sah ihn skeptisch an.
    “Zweihundert Kronen!”, verlangte sie, und betonte wieder die letzte Silbe.
    Harry nickte.
    Sie saß auf dem Bett und lauschte verwundert seinen Fragen.
    Nach dem Doctor, diesem bösen Menschen. Nach Orgien mit vielen Frauen. Kindern, die sie mitbringen sollten. Doch bei jeder dieser Fragen schüttelte sie bloß verständnislos den Kopf. Zum Schluss fragte sie, ob er police sei.
    Harry nickte.
    Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. ” Why you ask this questions? Where is Doctor?”
    “Doctor killed people”, erklärte Harry.
    Sie studierte ihn misstrauisch. “Not true”, antwortete sie schließlich.
    ” Why not?”
    “Because doctor is a nice man. He help us.”
    Harry fragte, in welcher Weise der Doktor ihnen geholfen hätte.
    Und jetzt war er es, der überrascht zuhörte, während ihm die schwarze Frau erzählte, dass der Doctor jeden Dienstag und Donnerstag mit seiner Tasche in diesem Raum saß und mit ihnen redete, sie zu Urinproben auf die Toilette schickte, ihnen Blut abnahm und sie auf alle möglichen Geschlechtskrankheiten untersuchte. Er gab ihnen Medikamente gegen die üblichen Erkrankungen und die Adresse des Krankenhauses für den Fall, dass sie diese andere Krankheit hatten, die Pest. Fehlte ihnen etwas anderes, kam es vor, dass er ihnen auch dagegen ein Mittel gab. Bezahlung wollte er nie, sie mussten ihm bloß versprechen, niemandem von seiner Tätigkeit zu erzählen, außer natürlich ihren Kolleginnen auf der Straße. Einige der Mädchen hätten auch ihre kranken Kinder mitgebracht, doch das hätte der Hotelbesitzer nicht zugelassen.
    Harry rauchte seine Zigarette, während er zuhörte. War das Vetlesens Buße? Die Gegenleistung für das Böse, der notwendige Ausgleich? Oder lediglich eine Akzentuierung, die seine Bösartigkeit reliefartig hervorhob? Angeblich war ja auch Mengele sehr kinderlieb gewesen.
    Die Zunge schwoll ihm im Mund, als wollte sie ihn ersticken, wenn er nicht bald einen Drink bekam.
    Die Frau hatte aufgehört zu reden. Jetzt fingerte sie an dem Zweihundert-Kronen-Schein herum.
    ” Will Doctor come back?”, fragte sie.
    Harry machte den Mund auf, um ihr zu antworten, aber seine
    Zunge war ihm im Weg. Da klingelte sein Handy. “Hole.”
    “Harry? Hier ist Oda Paulsen. Erinnerst du dich an mich?”
    Er erinnerte sich nicht, außerdem hörte sie sich viel zu jung an. “NRK”, half sie ihm auf die Sprünge. “Ich bin die, die dich letztes Mal zu Bosse eingeladen hat.”
    Die Recherchedame. Die Akquisitionsmausi.
    “Wir haben uns überlegt, ob du nicht mal wieder kommen könntest. Jetzt am Freitag. Wir würden so gerne mehr erfahren über diesen Erfolg mit dem Schneemann. Also, der ist ja jetzt tot, aber trotzdem. Es geht uns darum, was eigentlich in einem solchen Menschen vorgeht. Und ob man ihn überhaupt als einen solchen be … “
    “Nein”, unterbrach Harry. “Was?”
    “Ich komme nicht.”
    “Aber das ist die Talkshow von Bosse”, betonte Oda Paulsen aufrichtig verwirrt. “Im NRK-Fernsehen.”
    “Nein.”
    “Aber hör mal, Harry, es wäre doch interessant, darüber zu … ” Harry schleuderte das Handy gegen die schwarze Wand. Ein
    Stück Putz löste sich.
    Dann stützte er den Kopf in die Hände und versuchte seinen Schädel zusammenzuhalten, damit er nicht explodierte. Er brauchte jetzt etwas. Irgendetwas. Als er den Blick wieder hob, war er allein im Raum.
    Es hätte anders ausgehen können, hätte die Fenris-Bar nicht die Lizenz zum Ausschank hochprozentigen Alkohols gehabt. Hätte nicht Jim Beam auf dem Regal hinter dem Barkeeper gestanden und ihm mit seiner rauen Whiskeystimme etwas von Anästhesie und Amnestie zugeraunt: “Harry! Komm

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