Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø

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fing sie auf, indem er sie mit seiner freien Hand links an der Taille festhielt. Ein schmerzerfüllter Ausdruck huschte über ihr Gesicht.
    “Entschuldigung”, sagte er. “Hast du dir weh getan?”
    Sie fasste sich an die Seite. “Beim Fechten. Es ist nicht so schlimm. Sorry.”
    Sie drehte sich um und bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge. Einige Kollegen drehten sich um. Dann verschwand sie durch die Toilettentür. Harry scannte das Lokal und blieb an Lepsvik hängen, der schnell die Augen niederschlug, als sich ihre Blicke trafen. Er konnte nicht hier bleiben. Es gab andere Orte, an denen er sich mit Jim Beam unterhalten konnte. Harry bezahlte und wollte gehen, doch in seinem Glas war noch ein kleiner Rest.
    Andererseits standen jetzt noch zwei weitere Kollegen bei Lepsvik am Rand der Bar und sahen ihn an. Es ging nur um einen kleinen Rest Selbstbeherrschung. Harry wollte seine Beine in Bewegung setzen, doch sie klebten wie festgeleimt am Boden. Da nahm er sein Glas, setzte es an die Lippen und leerte es.
    Draußen strich ihm die kalte Abendluft angenehm kühl über die brennende Haut. Er hätte diese Stadt küssen können.
    Als Harry nach Hause kam, versuchte er ins Waschbecken zu onanieren, kotzte aber stattdessen und starrte dann auf den Kalender, der an dem Nagel unterm Wandschrank hing. Er hatte ihn zwei Jahre zuvor von Rakel zu Weihnachten bekommen. Mit Bildern von ihnen dreien. Ein Bild für jeden der zwölf Monate, die sie zusammen gewesen waren. November. Rakel und Oleg lachten ihn vor einem Hintergrund mit gelbem Herbstlaub und blassblauem Himmel an. Die gleiche Farbe wie Rakels Kleid mit den kleinen, weißen Blumen, das sie bei ihrer ersten Begegnung getragen hatte. Er beschloss, sich heute Nacht in diesen Himmel zurückzuträumen. Dann öffnete er den Schrank und schob die leeren Colaflaschen beiseite, die lärmend umfielen - ja, da hinten stand sie. Eine unberührte, große Flasche Jim Beam. Harry war nie das Risiko eingegangen, keinen Alkohol im Haus zu haben, nicht einmal in seinen nüchternsten Zeiten. Weil er wusste, wozu er in der Lage war, um Stoff aufzutreiben, wenn er erst wieder einen Rückfall erlitt. Als wollte er das Unausweichliche ein bisschen aufschieben, strich er mit der Hand über das Etikett. Dann öffnete er die Flasche. Wie viel musste er trinken? Die Spritze, die sich Verlesen gegeben hatte, wies innen einen roten Belag auf, der verriet, wie viel Gift er aufgezogen hatte. Sie war voll gewesen, ganz voll. Rot wie Cochenille. Meine geliebte Cochenille.
    Er holte tief Luft und öffnete die Flasche. Setzte sie an die Lippen, spürte, wie sich sein Körper anspannte, und bereitete sich innerlich auf den Schock vor. Und dann trank er. Gierig und verzweifelt, als wollte er es hinter sich bringen. Der Laut, der bei jedem Schluck aus seiner Kehle drang, klang wie Schluchzen.

KAPITEL 17
    14. Tag. Gute Neuigkeiten
    Gunnar Hagen lief mit raschen Schritten über den Flur.
    Vier Tage waren seit der Aufklärung des Schneemann-Falls vergangen. Es hätten vier angenehme Tage werden sollen. Und tatsächlich waren sie beglückwünscht worden, ihre Chefs hatten freundliche Gesichter gemacht, die Presse lobte sie noch immer, und es waren sogar Anfragen ausländischer Medienvertreter eingegangen, ob man nicht eine Reportage über die gesamte Ermittlungsgeschichte von Abis Z machen dürfte. Doch damit hatten die Probleme erst begonnen: Denn derjenige, der Hagen über die Details dieser Erfolgsstory Auskunft hätte geben können, war nicht aufzutreiben. Denn es waren auch vier Tage vergangen, seit jemand Harry Hole gesehen oder gehört hatte. Und die Ursache war offensichtlich. Kollegen hatten ihn in der Fenris-Bar trinken sehen, Hagen hatte es für sich behalten, aber die Gerüchte waren trotzdem bis zum Kriminalchef vorgedrungen, der Hagen an diesem Morgen zu sich zitiert hatte.
    “Gunnar, so geht das nicht weiter.”
    Gunnar Hagen beteuerte, es könne auch andere Gründe für Holes Abwesenheit geben, da Harry nicht immer Bescheid gebe, wenn er auswärts ermittle. Schließlich müssten im Schneemann-Fall ja auch nach der Ergreifung des Täters noch einige Details geklärt werden.
    Aber der Kriminalchef hatte seine Entscheidung bereits getroffen. “Gunnar, was diesen Hole angeht, sind wir am Ende des Weges angekommen.”
    ” Er ist unser bester Ermittler, Torleif.”
    ” Und unser übelster Repräsentant. Willst du, dass sich unsere jungen Kollegen so jemanden zum Vorbild nehmen,