Schneemann
immer. Nein, in diesen Momenten fühlte er sich nur leer, er wurde sich bewusst, dass der Erfolg nicht so schmeckte wie erwartet. Und auf die Ergreifung des Schuldigen folgte jedes Mal die Frage: “Und was jetzt? “
Es war sieben Uhr abends, Zeugen waren verhört, Spuren gesichert und eine Pressekonferenz abgehalten worden. Auf den Fluren des Morddezernats herrschte Feierstimmung. Hagen hatte Kuchen und Bier kommen lassen und sowohl Lepsviks Leute als auch Harrys Mannschaft eingeladen, damit sich alle im Kl selbst feiern konnten.
Harry hockte auf seinem Stuhl und starrte auf das viel zu große Kuchenstück auf dem Teller, den ihm jemand auf den Schoß gestellt hatte. Er hörte Hagens Rede, das Gelächter und den Applaus. Irgendjemand klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter, aber die meisten ließen ihn in Frieden. Um ihn herum surrte die Diskussion:
“Ein ganz schön schlechter Verlierer, dieser Typ. Hat sich einfach für immer aus dem Staub gemacht, als er merkte, dass wir ihm auf den Fersen sind.”
“Der hat uns um den Triumph gebracht.”
“Uns? Wollt ihr damit sagen, dass ihr in der Lepsvik-Gruppe … ” “Hätten wir ihn lebendig gekriegt, hätte das Gericht ihn doch
nur für nicht zurechnungsfähig erklärt und … “
” … wir sollten uns freuen, schließlich hatten wir doch keine handfesten Beweise, bloß Indizien.”
Espen Lepsviks Stimme dröhnte von der anderen Seite des Raumes herüber. “Seid mal ruhig, Leute! Es ist der Vorschlag geäußert und angenommen worden, dass wir uns alle um acht in der Fenris-Bar treffen, um uns anständig einen anzutrinken - und Leute:
Das ist ein Befehl, verstanden?” Alle jubelten.
Harry stellte den Kuchenteller beiseite und stand gerade auf, als er eine leichte Hand auf seiner Schulter spürte. Es war Holm: “Ich hab es überprüft. Vetlesen war Rechtshänder.”
Es zischte, als eine Bierflasche geöffnet wurde und ein bereits angetrunkener Skarre den Arm um Holm legte. “Dabei heißt es doch immer, Rechtshänder hätten eine höhere Lebenserwartung als Linkshänder. Scheint bei Vetlesen ja nicht zuzutreffen, haha.”
Skarre verschwand, um auch noch die anderen mit seinem Witz zu beglücken, und Holm sah Harry fragend an:
“Willst du gehen?”
“Ich brauch ein bisschen frische Luft. Vielleicht sehen wir uns bei Fenris.”
Harry hatte die Tür beinahe erreicht, als auch Hagen ihn noch mal zurückhielt.
“Es wäre schön, wenn jetzt noch keiner gehen würde”, zischte er. “Der Polizeipräsident will auch noch kommen und ein paar Worte sagen.”
Harry sah Hagen an und merkte, dass sein Blick mehr als deutlich gesprochen haben musste, denn sein Vorgesetzter ließ den Arm blitzschnell los, als hätte er sich verbrannt.
“Muss nur mal aufs Klo”, erklärte Harry.
Hagen lächelte kurz und nickte.
Harry ging in sein Büro, holte seine Jacke und ging langsam nach unten. Er überquerte die Straße in Richtung Gronlands leiret. Ein paar Schneeflocken schwebten durch die Luft, oben auf dem Ekeberg blinkten die Lichter, und von irgendwoher tönte das Geheul einer Sirene wie entfernter Walgesang. Zwei Pakistanis stritten sich gutgelaunt vor ihren benachbarten Geschäften, während sich der Schnee auf ihre Apfelsinen legte und ein schwankender Betrunkener auf dem Gf0nlandstorg ein Shanty sang. Harry spürte bereits, wie die Nachtwesen ihre Witterung aufnahmen, und fragte sich, ob es sicher war, hier draußen herumzulaufen. O Gott, wie er diese Stadt liebte.
“Du bist hier?”
Überrascht sah Eli Kvale ihren Sohn an, der am Küchentisch saß und Zeitung las. Das Radio dudelte leise im Hintergrund.
Sie wollte ihn fragen, warum er denn nicht bei seinem Vater im Wohnzimmer saß, dachte sich dann aber, dass er natürlich in die Küche gekommen war, um mit ihr zu reden. Obwohl das ganz und gar nicht natürlich war. Sie goss sich eine Tasse Tee ein, setzte sich und sah ihn schweigend an. Er war so hübsch. Sie hatte immer geglaubt, ihn nur hässlich finden zu können, doch sie hatte sich geirrt.
Eine Stimme im Radio behauptete, wenn es um Frauen in Führungspositionen ging, seien nicht mehr die Männer das Problem, sondern vielmehr die Tatsache, dass die Betriebe es gar nicht schafften, die gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote zu erfüllen. Denn die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen habe anscheinend eine chronische Abneigung gegen Positionen, in denen sie Kritik ausgesetzt seien, ihre Kompetenz gefordert sei und es niemanden mehr gebe,
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