Schneemond (German Edition)
auch andereErmittlungsbehörden tätig gewesen und hatte so seinen Ruf als
Profiler
und Analyst weiter gefestigt. Mit Frank Torrens war so etwas wie eine Freundschaft geblieben, welche hauptsächlich auf gegenseitiger Achtung und Respekt fußte.
Er war schon früh heute Morgen wach gewesen und so hatte er bereits an seinem Schreibtisch gesessen, als Frank Torrens angerufen und ihn um seine Mitarbeit gebeten hatte. Nachdem er aufgelegt hatte, war er noch einige Minuten nachdenklich am Fenster seiner Chicagoer Wohnung gestanden und hatte auf das Treiben dieser ruhelosen Stadt hinuntergeblickt. Hatte er sich das nur eingebildet, oder war in Torrens’ Stimme wirklich so etwas wie Furcht zu hören gewesen? Er schüttelte nachdenklich den Kopf. Hatten ihm seine Sinne einen Streich gespielt? Wovor sollte sich Torrens fürchten? Ärger und Wut, möglich; Frustration, ja, vielleicht – Torrens hatte sicher schon viel Abscheuliches und unmenschliches gesehen – aber Furcht?
Schließlich hatte er den Gedanken abgeschüttelt und sich ermahnt keine übereilten Schlüsse zu ziehen. Das war nicht seine Art und seiner Arbeit war ein solches Verhalten günstigstenfalls abträglich. Nachdem er einige Dinge eingepackt und Stanley Pearl, seinen Assistenten, angerufen und ihm mitgeteilt hatte, dass er für einige Tage unterwegs sein werde, hatte er die Wohnung verlassen. Vor dem Haus hatte bereits ein Wagen des FBI gewartet, um ihn zum Flughafen zu bringen. In den Straßen der Stadt erwachte das Leben, das eigentlich nie richtig zur Ruhe kam.
Während er aus dem Fenster sah, auf die Autos die neben ihnen fuhren, mit den Insassen, in deren Gesichter sich die ganze Bandbreite menschlichen Lebens spiegelte, und auf die Fußgänger an den Straßenseiten, über deren Motivationen er nur spekulieren konnte, kam er sich einmal mehr als unbeteiligter Beobachter dieses aufregend bunten Zoos vor.
Unbeteiligt an den Ängsten und Freuden dieser Menschen. Unbeteiligt an ihrer Liebe und ihrem Hass. Unbeteiligt an allen diesen menschlichen Regungen, die er für sich, gut geschützt, in den Tiefen seiner Seele verpackt hatte. Seine Sicht der Dinge war geprägt von der Überzeugung, dass auch Gefühle wie Hass, Wut, Neid, Leidenschaft, Liebe und ähnliches logisch analysiert und interpretiert werden konnten – und sich von solchen Emotionen leiten zu lassen einem Menschen nur zum Nachteil gereichte.
Bestärkt wurde er in dieser Überzeugung durch seine Arbeit als Psychologe und Therapeut. Gefühle führten Menschen nur in die Irre und verleiteten sie zu irratonalen Handlungen, bis hin zum Mord. Umso froher war er um seine, wie er fand, einzig richtige Einstellung zum Leben.
Zwischenzeitlich hatten sie den Flughafen erreicht, wo er freundlich, aber bestimmt, in einen Learjet gepackt wurde, der ihn nach Minneapolis bringen sollte. Der Beamte, der ihn von der Wohnung abgeholt hatte und ihn nun aufdem Flug begleitete, konnte ihm nichts über den Fall sagen, an dem Agent Torrens arbeitete. So hatte er in der Maschine weiter Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen.
Er war jetzt dreiundfünfzig Jahre alt und nicht nur geistig, sondern auch körperlich für einen Mann seines Alters in Bestform. Er trieb viel Sport und achtete auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Was das betraf hatte er sein Leben nach dem Grundsatz
mens sana in corpere sano – ein gesunder Geist in einem gesunden Körper
– ausgerichtet. Er war nicht unattraktiv und eine gepflegte Erscheinung. Und doch hatte er nie eine feste Bindung eingegangen. Es hatte wohl einige Frauen in seinem Leben gegeben, mit denen er einzelne Bereiche dieses Lebens geteilt hatte. Doch keine wollte auf Dauer bei ihm bleiben, so wie er nicht wollte, dass eine Frau auf Dauer bei ihm blieb. Er sah in seiner Arbeit den Hauptgrund für dieses Verhalten – und kam nicht im Traum auf den Gedanken, dass seine emotionale Verschlossenheit damit etwas zu tun haben könnte.
Er war einfach schon immer ein
Kopfmensch
gewesen. Gefühle waren stets ein Teil seiner Arbeit und er betrachtete sie deshalb aus einer professionellen Sicht. Wie auch immer – er war mit seinem Leben zufrieden, wie es war und da er nicht an Zufälle glaubte, vermutete er einen tieferen Sinn hinter diesen Dingen, der sich ihm vielleicht ja einmal erschließen würde.
Nach ihrer Ankunft in Minneapolis war er an einen weiteren Beamten weitergereicht worden, der ihn zu einem Hubschrauber eskortierte, welcher ihn weiter nach Norden bringen
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