Schneenockerleklat
noch
verstärkt. Palinski hatte gesehen, wie der Signore mit großem Interesse die von
regionalen Ereignissen bestimmten Sportseiten des ›Steirer Boten‹ studierte.
Nein, nein, für das reine Anschauen der wenigen Fotos hätte der Mann nicht so
lange gebraucht.
»Haben Sie nicht vielleicht einen Job für mich?«, zwitscherte
ihn Geneva von hinten an. »Sie müssen doch eine wichtige Persönlichkeit sein.
Wenn schon der Intercity extra für Sie angehalten wird.«
Geneva Post, was für ein vertr… seltsamer Künstlername für
eine reichlich komische Person, fand Palinski.
Und doch irgendwie süß, sehr süß sogar.
*
Ein Gast,
der die Familie Bachler und Verwandtschaft nicht näher kannte, wäre nie und
nimmer auf die Idee gekommen, dass der Grund des heutigen Treffens etwas
anderes sein könnte als ein netter, gesellschaftlich-familiärer. Ein Geburtstag
vielleicht oder eine Verlobung, eine erfolgreiche geschäftliche Transaktion
oder schlicht irgendein gemeinsamer Abend, um einander wieder einmal zu sehen.
Das Buffet, das Wilmas Mutter hatte liefern lassen, war
erstklassig, ohne protzig zu wirken. Auch das Getränkeangebot ließ keine
Wünsche offen. Sekt und Champagner gab es allerdings nicht, für einen Einsatz
dieser typischen Zuprostgetränke gab es nun wirklich keinen Anlass.
Obwohl, für den Fall, dass Albert noch heute freikam, was
wahrscheinlich alle hofften, aber keiner ernsthaft annahm, lagen einige
Flaschen Veuve Cliquot, leidlich gekühlt, im Keller.
Bis auf Tante Anita, die sich zu einer erstklassigen
Manisch-Depressiven mauserte, verhielten sich sämtliche der 23 anwesenden
Verwandten und Verschwägerten des Bachler-Clans auch normal. Gedämpfter Small
Talk, unterbrochen von gelegentlichem betretenem Schweigen, das immer dann
einsetzte, wenn Alberts Mutter in der manischen Phase ein wenig zu sehr über
die Stränge schlug. Meistens saß sie aber nur still da, starrte vor sich hin
und gab bestenfalls gelegentlich ein leises Wimmern von sich.
Aufpassen und ihr aus dem Weg gehen musste man nur, sobald
sie so gut wie ansatzlos ein schrilles: »Oh neeeiiiin, neeiin, wo bist du, mein
Berti?«, vom Stapel ließ, durch das weitläufige Haus lief und irgendwas oder
irgendjemanden suchte.
Seit ihrem Kommen war das bereits zwei Mal der
Fall gewesen, und das dritte Mal stand unmittelbar bevor, dessen war sich Wilma
fast sicher. Wer Anita in dieser Situation in den Weg kam, musste damit
rechnen, schmerzhafte Bekanntschaft mit ihrem Gehstock zu machen. So hatte sie
beispielsweise nach Fridolin geschlagen, dem Enkel von Onkel Ferdinand. Das war
der Bruder von Wilmas Vater.
Der Kleine hatte sich aber geschickt abgeduckt, und so hatte
die Furie eine echt chinesische Vase, ein sauteures Stück aus irgendeiner
dieser Dynastien, erwischt und zertrümmert. Entführung hin oder her, Hausherr
Dr. Dr. Wilfried Bachler war stinksauer auf seine verrückte Schwägerin und
machte daraus auch keinen Hehl.
Jetzt wollte Tante Anita anscheinend eine andere
Methode testen, mit dem auf ihr zweifellos lastenden Druck fertig zu werden.
Sie stellte sich Wilma in den Weg und giftete sie provozierend an: »Na, wo sind
denn deine lieben Kinder? Haben sicher etwas Besseres zu tun, als sich Sorgen
um das Leben ihres Großcousins zu machen?«
Wilma wollte keinen Streit. Sie hatte ernsthaft überlegt,
Tina und Harry, die beide bei ihrer Halbschwester Silvana in Südtirol zum
Skilaufen waren, von den erschreckenden Vorkommnissen in Kenntnis zu setzen,
sich schließlich aber dagegen entschieden. Wozu den Kindern das wohlverdiente
verlängerte Wochenende verderben, beide hatten das Jahr über sehr fleißig
studiert. Sie in München und er in Konstanz. Und was hätten sie denn auch bei
dieser abendlichen Elefantenrunde für einen Beitrag leisten können?
Dennoch war sich Wilma nicht ganz sicher, ob diese
Entscheidung wirklich richtig gewesen war. Entsprechend unsicher reagierte sie
jetzt auf die verbale Attacke ihrer Tante.
»Ja, weißt du, Tante Anita, Tina und Harry sind zu Besuch bei
Silvana«, begann sie, »ich habe die beiden nicht so schnell erreichen können!«
»Ach, bei dem Bankert von deinem Superdetektiv!« Das letzte
Wort hatte die alte Hexe betont, als ob es sich um einen fäkalsprachlichen
Leitbegriff handelte. »Na, wenn dir deine Großzügigkeit bloß nicht eines Tages
um die Ohren fliegt. Hmhmhm!«, memmelte sie noch und wollte schon weitergehen.
»Bei allem
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