Schneenockerleklat
schnell wieder, denn das kommt absolut nicht
infrage. Nenne mir nur einen einzigen Grund, warum du diese 100.000 nicht
aufbringen kannst!«
»Ganz einfach«, entgegnete Anita, »die Sparbücher sind als
Sicherheit für meinen Lebensabend und für Notfälle gedacht. Darüber hinaus sind
die Sparguthaben langfristig gebunden. Dafür bekomme ich einen besonders hohen
Zinssatz. Wenn ich ein Sparbuch jetzt auflöse, verliere ich nicht nur die
Zinsen, sondern muss noch eine spezielle Gebühr bezahlen. So eine Art Strafe.«
Sie blickte sich um. »Ihr seht also ein, dass ich kein Geld habe, das ich zur
Verfügung stellen kann!«
Die Sprachlosigkeit, die die Anwesenden überfallen hatte, war
fast körperlich spürbar. Es war der Hausherr, der sich als Erster wieder fasste
und, für ihn völlig untypisch, fast brüllte, als er jetzt nachfragte: »Du
hast w a s nicht? Kein Geld, um deinen Sohn
freizukaufen? Weil du den günstigen Zinssatz nicht riskieren möchtest und
befürchtest, Strafzinsen zahlen zu müssen? Ja, bist du jetzt total verrückt
geworden?«
Karl Helmbach, der gerade genug für ein einigermaßen
angenehmes Leben zur Verfügung hatte, und das auch erst, seit er als
Privatdetektiv etwas dazuverdiente, hatte das noch nie erlebt. Irgendwie
erinnerte ihn diese seltsame Logik an die Sache mit Maria Antoinette und dem
Kuchen, von der er vor vielen Jahren in der Schule gehört hatte. Das war sicher
auch der Grund dafür, dass sich jetzt so etwas wie Verachtung in seinem Gesicht
widerspiegelte.
Auch Jo Fossler konnte sich über die gierige Alte nur
wundern. Seine Gedanken zu ihrem Verhalten waren aber andere als die seines
Kollegen. Und vor allem behielt er sie völlig für sich, seine steinerne Miene
ließ keinerlei Rückschlüsse zu.
»Jetzt können wir ohnehin nichts mehr machen!«, fuhr
Professor Dr. Dr. Bachler fort, nachdem er einen Blick auf die schwere
Barockstanduhr an der Wand geworfen hatte, die am Vormittag um 10.07 Uhr stehen
geblieben war. »Die Banken haben bereits geschlossen. Aber morgen früh wirst du
als Erstes losgehen und die 100.000 Euro holen. Ist das klar?« Er blickte Anita
streng an. »Ich frage dich nochmals, ist das klar?« Die letzten Worte hatte der
sonst so überlegen wirkende ehemalige Dekan der juristischen Fakultät der
Universität Wien, der um ein Haar sogar Rektor geworden wäre, fast gebrüllt.
Das war der Moment, in dem sich Tante Anita dazu entschloss,
wieder in das heimelige, vergleichsweise freundliche Ambiente der
psychiatrischen Station des AKH zurückzukehren. Dorthin, wo sie zuletzt einige
recht angenehme Stunden verbracht und sie niemand hatte zwingen wollen, ihr
schwer erspartes und ererbtes Geld von der Bank zu holen.
Und da sie inzwischen ganz genau wusste, wie man dorthin
gelangte, fing sie plötzlich und ohne Vorwarnung an zu schreien, die Augen zu
verdrehen und, nur für alle Fälle, auch noch ein wenig unkontrolliert zu
zucken.
Darüber hinaus konzentrierte sie sich in Gedanken auf das
knusprig braune, richtig krosse Schwartl eines eben aus dem Ofen kommenden
Schweinsbratls und leitete den sofort und heftig einsetzenden Speichelfluss
geschickt über den linken Mundwinkel aus, um auch noch den letzten Skeptiker zu
überzeugen.
Bald darauf war Tante Anita bereits wieder unterwegs zu ihrem
Traumziel.
Zurück blieben ihre teils ratlosen, teils amüsierten,
insgesamt aber erleichterten Verwandten, die weiter auf den Anruf der Entführer
warteten.
Einige, vor allem Wilma,
warteten aber auch auf Palinski.
*
Eine erste, in Anbetracht der Umstände aber
nicht allzu gründliche Suche nach Sven Eglitz, besser, nach einem 30- bis
35-jährigen Mann mit Vollbart und Brille, der sich zumindest im Zug noch so
genannt hatte und dazu noch unter äußerst unangenehmem Mundgeruch litt, war
ohne Ergebnis geblieben.
Im Übrigen schienen aber die Vorkommnisse des Nachmittags,
die, euphemistisch formuliert, so nicht ganz geplant gewesen waren, keine
weiteren Auswirkungen auf den Ablauf der FECI-Jahresversammlung zu haben.
Zwar hatte man auf die Siegerehrung nach dem
Prominenten-Rennen verzichtet, was nicht weiter verwunderte, so handelte es
sich bei dem Paar, das die am wenigsten schlechte Gesamtzeit geschafft hatte,
von Bestzeit konnte bei einer kumulierten Laufzeit von 2,23,61, also weit mehr
als zwei Minuten für zwei sturzfreie Läufe, wirklich nicht die Rede sein, um
den 66-jährigen Vaclav Birolek
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