Schneenockerleklat
Gebäuderl vielleicht, in ein Kapitalverbrechen verwickelt wurde.
Burschi hatte sich den Schlüssel zum Blauen Haus einmal
ausgeborgt und, vom Papa nie auf dessen Rückgabe angesprochen, einfach
vergessen, ihn auch wieder zurückzugeben.
Wie der leichte, aus dem speziell dafür vorgesehenen Fang
aufsteigende Rauch andeutete, war die Casa derzeit bewohnt.
Und tatsächlich, in dem spärlich möblierten Hauptwohnraum saß
Burschi am Tisch und löffelte die Suppe, die Sandy vorhin aus zwei Sackerln
dehydriertem Basisprodukt unter Verwendung heißen, in dieser Gegend stark
kalkhaltigen Wassers angerührt hatte.
Die junge Frau wieder hockte am Boden und fütterte den
gefesselten, neben ihr an der Wand kauernden Albert. Der Arme protestierte
periodisch, da die Flüssigkeit, die ihm lieblos in den Mund gelöffelt wurde,
viel zu heiß zu sein schien.
»Au, sei doch vorsichtiger!«, brüllte er gerade. »Du
verbrennst mir ja die Mundschleimhäute. Übrigens, ihr versprecht also, mir die
120.000 Euro zu lassen, wenn ich euch nicht verrate. Ist das richtig?«
»Jo, jo, des is do kloa«, versicherte Sandy und verpasste ihm
die nächste Brandblase. »Mio san do noch wia vur Freind. Wos ma do mochn, moch
ma do a olles fia di. Des waßt do?«
Ihre Stimme klang richtig einschmeichelnd.
Auf einem Waldweg, etwa 200 Meter vom Haus entfernt und von
diesem aus nicht zu sehen, hatte in der Zwischenzeit ein schwarzer
Kleintransporter angehalten und seine Scheinwerfer abgedreht. Nach einigen
Minuten stieg der Fahrer, ein hochgewachsener, athletisch wirkender Typ, aus
und schlich sich im Schutz der Dunkelheit vorsichtig an das Haus heran.
Beim einzigen erleuchteten Fenster angelangt,
duckte er sich zunächst, dann warf er vorsichtig einen Blick ins Innere des
Hauses. Nachdem er einige Sekunden lang versucht hatte, das Gesehene richtig zu
deuten und einzuordnen, kehrte er zu dem Kleintransporter zurück und machte es
sich hinter dem Lenkrad bequem. So gut das eben ging. Dann holte er eine
Thermoskanne hervor, schraubte den gleichzeitig als Trinkbecher dienenden
Verschluss ab, schenkte ein und trank das Zeug gleich darauf aus.
Nachdem er die Kanne wieder verschlossen hatte, lehnte er
sich zurück und schloss die Augen. Es sah ganz so aus, als ob es eine lange
Nacht werden würde.
*
Als Sir Peter
Millfish mit Frau und Töchtern, Andreas Freund John Dykman und seinem
sonstigen, aus einem Assistenten und einer Privatsekretärin bestehenden Anhang
im Wintergarten einzog, um zu Abend zu speisen, glich dies in Anmutung und
Gestaltung einer protzigen, fast barock wirkenden Inszenierung.
Für die insgesamt zehn Personen – der stellvertretende
Chefredakteur des ›GCR‹ und seine bezaubernde dritte Frau, die wahrhaft einzig
wahre Liebe seines Lebens, wie ihr Mann zu betonen nie müde wurde, waren zum
familiären Dinner ebenfalls gebeten worden – war der riesige Tisch in der
Nische am Ende des Wintergartens reserviert worden.
Generaldirektor Eberheim, der es sich nicht hatte nehmen
lassen, die hochkarätige Runde persönlich zu begrüßen, die Damen natürlich mit
formvollendetem Handkuss, verstand sich, geleitete die Gäste zu ihren Plätzen.
Zwei Flaschen Champagner vom Feinsten als kleine, aber feine Empfehlung des
Hauses rundeten die immer wieder heikle Gratwanderung zwischen Gästebetreuung
auf hohem Niveau und, na, lassen wir das lieber, auf jeden Fall perfekt ab.
Übrigens, Eberheim war dank Herzensbildung und sicherem
Geschmack einer der wenigen in dieser Branche, der es immer wieder verstand,
seinen Gästen, egal ob arm oder reich, scheinbar wichtig oder unwichtig, das
Gefühl zu vermitteln, jederzeit im Zentrum seiner Aufmerksamkeit zu stehen.
Auf viele der anderen Gäste im Restaurant ›Wintergarten‹
wirkte der Auftritt aber eher belustigend denn imposant. Und an einem der
hinteren, weniger günstigen Tische ärgerte sich einer der dort abgesetzten
Journalisten lautstark darüber, dass man sein bereits vor zehn Minuten
bestelltes Mineralwasser noch immer nicht gebracht hatte. »Aber den Bonzen
wirds schon hinten reingeschoben, bevor sie überhaupt die Hose herunten
haben!«, maulte er nicht gerade fein, aber durchaus zutreffend.
Geneva Post, die mit Francois Hürlimann von der
Zürcher Kantonspolizei, Commissaire Jacques Brillon aus Marseille und Ignatio
Buffone von den Carabinieri in Mailand am Tisch daneben saß, konnte sich vor
Lachen über dieses Bonmot
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