Schneenockerleklat
etwas zu stark geschminktes und vor
allem fast unbekleidetes junges Mädchen über den Weg gelaufen.
Nachdem sich der erste Schrecken gelegt hatte, war ihr klar,
sie hatte die sagenumwobene Geneva Post vor sich.
Geneva, oder wie immer die junge Frau in Wirklichkeit hieß,
versuchte es zunächst auf die goscherte Art und mokierte sich über Wilmas
Eindringen. Nachdem sie aber erfahren hatte, wer da vor ihr stand, war sie mit
einem Schlag ganz kleinlaut geworden und hatte sogar einige Tränen verdrückt.
Als Französischprofessorin in einem Oberstufengymnasium für
Mädchen kannte Wilma jede Menge Vertreterinnen dieses Typs und wusste genau,
wie man mit ihnen umging.
Und tatsächlich, jetzt, nur eine halbe Stunde später, fraß
Geneva der Frau Marios, die ihr erlaubt hatte, sie Wilma zu nennen, fast aus
den Händen.
Und gestand ihr nach weiteren 22 Minuten, dass sie
unglücklich mit ihrem Namen sei. Nicht mit ihrem richtigen, nein, mit ihrem
Künstlernamen.
»Die Leute haben keine Manieren!«, jammerte sie, »sie
verwechseln Geneva ständig mit irgendetwas Alkoholischem. Dauernd sagt einer
Schnapserl zu mir. Ein anderer wieder nennt mich nur Jeannie und will wissen,
wo mein Flaschengeist ist. Dabei starren sie mir unentwegt auf die Brust, diese
Schweine.«
»Ich hoffe nur, mein Mario …«, wollte Wilma einwerfen, kam
aber nicht dazu.
»Nein, nein, aber nein, gnädige Frau, Ihr Mann ist ein echter
Gent, ein wirklicher Kavalier. Und so lieb, wirklich. Er hat mir nur eine Freud
machen wollen und mich als Überraschungsgast für die Diskussion heut engagiert.
Seither hab ich ihn fast net gsehen!«
Komisch, Wilma hatte zwar nichts anderes erwartet. Dennoch war
es gut gewesen, das zu hören.
»Und ungebildet sind die meisten!«, fuhr Geneva fort, »Sie
haben ja keine Ahnung, gnä’ Frau …«
»Wilma«, warf diese ein. »Wir sind schon per Wilma und
Geneva.«
»Uije, ja richtig. Also Wilma, die meisten der sogenannten
Herren da unten«, sie deutete ein wenig herablassend in Richtung Schwerkraft,
»kennen nicht einmal Athena Ritz. Was sagen Sie dazu?«
Athena Ritz, Wilma erinnerte sich, gehört zu haben, dass das
so eine Art stinkreiche Gesellschaftsgeschädigte war, die ihr Lebensziel
offenbar darin sah, möglichst oft in den Medien präsent zu sein.
»Kennen Sie Rosa Luxemburg, Hildegard von Bingen oder Bertha
von Suttner?«, Wilma wusste, dass das, was sie jetzt tat, mehr als unfair war.
Mit ihrem dank der Abstammung aus dem Bildungsbürgertum erworbenen Wissen so
wahllos zu protzen, war billig. Aber es tat gut, dem dummen, bedauernswert
eindimensional gestrickten Mädchen ein wenig den Blickwinkel zu weiten.
»Nein!«, gab Genever, Pardon, Geneva sofort zu. »Aber man
kann ja nicht jeden kennen. Übrigens, Luxemburg ist ein echt geiler Name. Wow!«
»Eben«, meinte Wilma ein wenig professoral, in der Sache aber
völlig zu Recht, »man kann nicht jede Frau, jeden Mann kennen. Ihnen sind eben
andere Persönlichkeiten wichtig als anderen. Übrigens, wenn ich nicht falsch
liege, ist Athena Ritz ein Mitglied der berühmten Hoteldynastie und lebt recht
gut davon!«
Falls Wilmas Wissen und Rhetorik die junge Frau beeindruckt
hatten, so ließ sie sich das nicht anmerken. Allerdings ging sie auch nicht
weiter auf das Thema ein.
»Der Florian«, damit meinte sie wohl Marios Assistenten
Nowotny, »hat mir erklärt, dass die ›Post-Hotels‹ gar kein Konzern sind,
sondern lediglich eine riesige Ansammlung von Häusern mit demselben Namen.
Sagen Sie, stimmt das?«
Wilma nickte, und der Überraschungsgast machte
einen recht irritierten Eindruck. »Dann schei…, scheint es höchste Zeit zu
sein, mir einen neuen Namen …«
»Künstlernamen!«, korrigierte Wilma.
»Künstlernamen zuzulegen. Haben Sie vielleicht eine Idee?«
»Wie heißen Sie denn nun?«, wollte Wilma jetzt wissen. »Und
woher kommen Sie? Ich meine, wo sind Sie auf die Welt gekommen, aufgewachsen?«
»Ich bin als Martha Martharsky auf die Welt gekommen!« Geneva
flüsterte fast, und Wilma konnte das verstehen. Mit so einem Namen hätte sie
sich wahrscheinlich auch schon längst ein Pseudonym zugelegt. »Und aufgewachsen
bin ich in der Leopoldstadt in Wien. In der Taborstraße. Sagen Sie, was halten
Sie von Paris?«
»Eine tolle Stadt, ich habe als ganz junges Mädchen ein
halbes Jahr an der Sorbonne studiert!« Immer wenn Paris genannt wurde, geriet
Wilma ins Schwärmen. »Sie sollten unbedingt
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