Schneenockerleklat
Vertreter der österreichischen
Ministerialbürokratie.
Na gut, dachte Wilma, wenn Mario nicht da ist, gehe ich aufs
Zimmer und ruhe mich aus. Heute Abend würde es sicher etwas später werden.
Auf dem Zimmer fand die Frau, mit der Palinski schon mehr als
26 Jahre nicht verheiratet war, eine, vorsichtig ausgedrückt, äußerst
unerwartete Situation vor, die sie im ersten Zorn ernsthaft sich selbst fragen
ließ, ob diese mehr als 26 Jahre nicht gut 26 Jahre zu viel gewesen waren.
*
Nachdem der
Hubschrauber am Landeplatz des Ministeriums aufgesetzt hatte, rannte Palinski
zu dem schon vorher bestellten Taxi und ließ sich zum Café ›Kaiser‹ in der
Nußdorfer Straße bringen. Die Uhr zeigte 13.15 Uhr, und Juri Malatschew saß
sicher noch beim Essen. Da die vielleicht 45 Minuten, die er hatte, um Juri
umfassend zum Thema Budapest 1988 zu befragen, kaum ausreichten, wollte er
versuchen, den alten Bolschewiken zu einem Ausflug ins Voralpengebiet zu
überreden. Mit dem Hubschrauber, das klang doch nach einem attraktiven Angebot.
Obwohl, also wetten würde er nicht gerade darauf.
Aber bei dem Bären aus Kasan wusste man ja nie, da musste man
mit allen Möglichkeiten rechnen.
Darüber hinaus musste er noch versuchen, Tante Anita das
Sparbuch über 113.400 Euro abzuluchsen. Trotz des irrsinnigen Stresses am
Semmering durfte das Schicksal von Cousin Albert nicht vernachlässigt werden.
Wilmas Mutter, mit der er während des Fluges telefoniert
hatte, hatte ihm versprochen, mit ihrer Schwester Tacheles zu reden. Elisabeth
Bachler und Mario wollten sich um 14.30 Uhr in Anitas Wohnung in der
Herbeckstraße treffen.
Und um spätestens 16 Uhr musste der Helikopter
schließlich abheben, damit Palinski rechtzeitig um 16.45 Uhr die ›Mörderische
Diskussion‹ eröffnen konnte, zu der er als Leiter des Instituts für
Krimiliteranalogie geladen hatte. Besser etwas früher, denn sonst wurde es
verdammt knapp.
Vor der Landung hatte Palinski sich noch überlegt, dass es
nicht verkehrt sein würde, seine Truppen für alle Fälle am Semmering zu
konzentrieren, zumindest für die nächsten 24 Stunden. Also hatte er Helmbach
angerufen und ihn und seinen Kollegen Fossler auf den Semmering bestellt.
Dienstantritt so rasch wie möglich.
Denn bis morgen früh konnte er als Gastgeber dieses Teils des
Programms auf keinen Fall mehr einfach verschwinden, sondern musste sich um
seine Gäste kümmern.
Und schlafen musste er ja schließlich auch wieder einmal.
Beim Betreten des ›Kaiser‹ konnte er Malatschew
zunächst nicht sehen. Die beiden Tische, an welchen er regelmäßig zu sitzen
pflegte, natürlich alternierend, waren scheinbar unbesetzt. Obwohl, auf dem
einen stand ein leerer Teller mit deutlichen Resten von Schlagobers darauf. Das
konnte als Indiz gewertet werden, dass Juri wieder eine Portion des von ihm so
geliebten Kastanienreises genossen hatte. Oder auch mehrere.
Fragend blickte er Frau Doris an, die diensthabende
Chefserviererin. »Kommt glei, is nur am Häusl«, teilte sie ihm lapidar mit.
Und gleich darauf erschien Juri auch schon. Stiernackig, mit
dichter grauer Haarmähne, mittelgroß und äußerst stämmig, aber nach wie vor mit
einem durchaus kraftvollen, elastischen Gang. Nicht schlecht in Form für einen
Mann seines Alters.
»Challo, mein Freund«, begrüßte er Mario, »ich chabe dich
schon vermisst. Wo chast du dich die ganze Zeit versteckt?«
Er nahm hinter dem schlagobersbatzenbefleckten Teller Platz,
bedeutete Palinski, sich ebenfalls zu setzen, und meinte dann: »Dieser
Kastanienreis ist etwas Cherrliches, ich kann nicht widerstehen. Nun sprich,
was chast du am Cherzen?«
Malatschew und seine endlos weite russische Seele liebten es,
die Dinge langsam anzugehen. Normalerweise ließ es der alte Journalist
frühestens nach einer halben, Dreiviertelstunde aufwärmenden Blablas zu, dass
sein Gesprächspartner zur Sache kam. Mario spielte dabei meistens mit, denn das
Ergebnis rechtfertigte in der Regel diesen mitunter enervierenden
diplomatischen Einsatz.
Heute fehlte aber die Zeit für das übliche Geplänkel, heute
gab es nur hopp oder topp.
»Ich bitte um Verständnis, Juri, dass ich so unhöflich bin
und sofort zur Sache komme!«, baute Palinski daher vor. »Aber ich muss in einer
halben Stunde schon wieder zurück auf den Semmering. Ich bin nur wegen dir nach
Wien gekommen!«, und wegen Tante Anita, vollendete er in Gedanken, sagte aber
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