Schneerose (German Edition)
Lage ist zu laufen. Chasity geht es zwar nicht schlechter, aber das
ist auch kaum möglich, nachdem ihr Zustand einem Koma gleicht. Niemand kann
verstehen warum Lia darauf bestanden hat die Beiden mitzunehmen, doch Tru ahnt
den wahren Grund. Es geht wieder einmal um Orlando, so wie es immer nur um
Orlando geht. Chasity ist seine Cousine und Claudia die einzige Verbindung, die
Lia noch zu ihm hat. Daran erkennt Tru deutlich, dass Lia Orlando alles andere
als vergessen hat. Es scheint eher so als würde sie ihn durch die Entfernung
nur noch mehr... begehren... lieben? Ist es wirklich Liebe? Kann man jemanden
lieben, den man kaum kennt oder muss Liebe viel eher wachsen? Tru versteht von
solchen Dingen wenig und je mehr sie die Liebe kennen lernt, umso weniger
möchte sie etwas damit zu tun haben. Seitdem sie sich ihre Gefühle für Lia
wenigstens selbst eingesteht, ist dort meistens nur noch Schmerz und
Zurückweisung zu spüren. Manchmal würde sie am liebsten davon rennen, doch dann
sind da wieder die kleinen Momente, in denen Lia ihr ein Lächeln schenkt oder
einfach so ihre Hand ergreift. In diesen Momenten bleibt die Welt stehen, ihr
Herz beginnt wild zu klopfen und es scheint plötzlich alles so viel leichter zu
sein. Sie wünschte sich jedoch, dass sie denselben Effekt auf Lia hätte.
Demonstrativ
lässt sie sich nun Lia gegenüber auf dem Bett nieder und starrt ihr
herausfordernd entgegen. Nach einem Moment hebt Lia fragend den Kopf.
„Alles
okay?“, erkundigt sie sich wie immer wenn sie Tru sieht, seitdem diese ihr Blut
getrunken hat. Am Anfang schwang mehr Sorge in ihrer Stimme mit, doch je mehr
Zeit vergeht, umso unbedeutender klingt die Frage in Trus Ohren.
„Mir
geht es gut, aber ich mache mir Sorgen um dich. Glaubst du wirklich, dass das
etwas bringt?“, Tru deutet auf die Karte und die vielen kleinen Fahnen.
Lia
zuckt mit den Schultern. „Ich muss es zu mindestens versuchen, was soll ich
sonst tun?“
„Wir
sind in Saudi Arabien. Es gibt hier so viel mehr zu sehen, als eine Frau, die
vielleicht nicht mal gefunden werden will.“
„Sie
ist meine Mutter.“, drängt Lia, doch Tru klappt die Karte direkt vor ihrer Nase
zu. Lia will bereits empört protestieren, doch da legt Tru ihr den Zeigefinger
auf die Lippen.
„Vertrau
mir“, fordert sie und blickt Lia in die sommergrünen Augen. Ihr Finger kribbelt
auf Lias Lippen und Gänsehaut breitet sich auf ihren Armen aus. Verunsichert
lässt sie den Finger sinken und blickt auf die Karte zu ihren Händen. Doch zu
ihrer Überraschung ergreift Lia ihre Hände und lächelt. „Okay, ich vertraue
dir. Was hast du vor?“
Tru
grinst breit. „Das ist eine Überraschung.“ Begeistert zieht sie Lia vom Bett
durch die schwere javanische Teaktür hinaus auf den Flur.
Mit
dem Chauffeur fahren sie durch die Innenstadt, vorbei an der König-Fahd-Fontäne
hinab zur Küste. Die Straßen sind schmal und die Autofahrer halten sich kaum an
die europäischen Verkehrsregeln, trotzdem läuft alles unfallfrei ab. Zwischen
den Autos drängen sich Kamel- oder Eseltransporte, Fahrräder und Rikschas. An
den Straßenrändern bieten die Verkäufer ihrer Ware an. Von Obst und Gemüse, bis
zu Kleidung, Haushaltswaren und Kleintieren gibt es wirklich alles. Der Duft
von gebratenem Fisch und eingelegten Früchten steigt in ihre Nasen. So viele
fremde Gerüche und Farben. Alles wirkt vollkommen anders als sie es aus dem
kühlen England gewöhnt sind. Es ist wie ein Ausflug in ein Paralleluniversum.
Die
Sonne steht hoch am Himmel als sie den Hafen erreichen, während die Wellen lebendig
gegen die Befestigungen klatschen. Weißer Schaum bildet sich wann immer sich
das Wasser zurückzieht. Als sie aussteigen, brennen die heißen Strahlen direkt
auf ihre helle Haut. Doch die Hitze ist angenehm. Sie zeigt ihnen, dass sie
nach wie vor beide am Leben sind, was sie daraus machen, liegt jedoch bei
ihnen. Immer noch halten sie sich an den Händen als sie den Hafen entlang
schlendern. Während der Fahrt war Lia ganz aufgeregt und wollte unbedingt
wissen wohin es denn ginge, doch jetzt schweigt sie und betrachtet mit großen
Augen die Umgebung. Fischhändler laden ihre Ware von ihren winzigen Schiffen,
die so alt wirken, dass sie jeden Moment auseinander brechen zu scheinen. Der
frische Fisch wird direkt unter lautem Grölen Feil geboten. Touristen mit
sonnenverbrannten Schultern schlendern an der Promenade entlang, wobei sie an
jeder Ecke stehen bleiben um ein Foto nach dem
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