Schneerose (German Edition)
zu ziehen.“ Lia senkt gedemütigt den Kopf, bevor sie fortfährt: „Jeder
würde es verstehen, wenn ihr euch zurückzieht oder auf die andere Seite
stellt.“
Anmutig tritt Chasity aus dem Schatten hervor, vor
ihren Augen die Sonnenbrille. Trotz der schwarzen Kutte ist ihr deutlich
anzumerken, dass jeder Schritt sie schmerzt. Trotzdem geht sie weiter, bis sie
direkt vor Lia steht und legt ihr die schwarz behandschuhten Hände an die
Wangen und zwingt sie aufzublicken.
„Mein Platz ist an deiner Seite. Du hast mir das
Leben gerettet!“
„Nachdem mein Blut dich fast getötet hätte.“
„Es war nicht deine Absicht, aber es war meine
Absicht dich zu töten. Ich stehe in deiner Schuld.“
Obwohl ihr Gesicht nicht zu sehen ist, klingt
Mitgefühl und Liebe aus Chasitys Stimme. Nun tritt auch Claudia in die Sonne,
an die Seite ihrer ehemaligen Königin.
„Chasitys Schuld ist auch meine Schuld. Wir werden
dich unterstützen, wo auch immer du hingehst.“
Tränen blitzen in Lias Augen auf. Es sind die ersten
freundlichen Worte seit Stunden. Claudia streckt ihre Hand aus und streichelt
Lia über das goldene Haar. „Du kannst es dir vielleicht nicht vorstellen, aber
wir wissen wie du dich fühlst. Auch wir wurden einst aus unseren Leben gerissen
und verwandelt. Es ist schwer die Vergangenheit hinter sich zu lassen, ohne sie
zu bedauern.“
Lia nickt, wendet sich dann aber blinzelnd ab. Die
beiden Vampire treten zurück in den Schatten der Höhle und Lia dreht sich zu
Mike und Lindsay herum, die etwas unbeholfen im Abseits stehen. Ihre Augen sind
zum Boden gerichtet, so als würden sie den neuen Anblick ihrer besten Freundin
nicht ertragen. Für Lia muss diese Reaktion mehr als verletzend sein. Sie
scheint nach den richtigen Worten zu suchen, da hebt Mike plötzlich den Blick,
doch anstatt Lia anzusehen, hält er Lindsay seine Hand entgegen. Zögerlich
schaut sie ihm in die Augen, ergreift dann aber seine Hand. Beide schaffen es
endlich Lia mit einem entschuldigenden Blick anzusehen. Erst jetzt begreift
Tru, dass ihre Zurückhaltung nicht Lia galt, sondern nur daher rührte, dass Lia
noch nichts von ihrer frischen Beziehung weiß. Aber ihre Reaktion dürfte den
Beiden jede Angst nehmen, denn sie schenkt ihnen ein Lächeln, das sich über ihr
ganzes Gesicht ausbreitet. Zum ersten Mal, seit sie Lia wiederhaben, ist sie
wirklich glücklich.
Mike, der sie länger als alle Anwesenden zusammen
kennt, weiß ihr Lächeln sofort zu deuten und gewinnt dadurch Mut.
„Wir wussten nicht wie wir es dir sagen sollten...“
„Endlich!“, betont Lia nur staunend. „Ich könnte mir
nichts Schöneres vorstellen als meine beiden besten Freunde zusammen zu sehen.
Es tut mir leid, dass ich euch solange im Weg gestanden habe.“ Ihre letzten
Worte gelten Lindsay, doch wieder ist es Mike, der ihr antwortet: „Das hast du
nicht, wir standen uns selbst im Weg.“
Erst jetzt findet ihre sonst so redselige Freundin
die Sprache wieder und beeilt sich zu sagen: „Du bist auch keine Schlampe, das
ist mir nur so rausgerutscht, weil ich so wütend war...“ Wie immer findet sie
die falschen Worte zur falschen Zeit, doch für Lia scheinen es genau die
Richtigen zu sein.
„...und das zu Recht. Ich weiß wirklich nicht wie
ich es je wieder gutmachen soll!“ Bedauern spiegelt sich in ihren Zügen, doch
Lindsay winkt mit einem verzeihenden Lächeln nur ab. „Das musst du nicht. Jeder
Mensch macht Fehler!“
Lias Augen weiten sich traurig und sie blinzelt
eisern eine sich nährende Träne weg. „Ich bin kein Mensch mehr!“
Jetzt gibt es für Lindsay kein Halten mehr. Sie
ergreift Lia fest bei den Armen, unbeeindruckt von den Flügeln auf ihrem
Rücken.
„Doch genau das bist du und wirst du auch immer
bleiben, genauso wie du auch immer meine beste Freundin bleiben wirst.“ Die
Umarmung, die danach folgt ist Lias Rettung. Es sagt so viel mehr aus als jedes
gesprochene Wort.
„Wir lassen dich jetzt nicht allein.“, stimmt auch
Mike seiner Freundin zu und schließt die beiden Mädchen ebenfalls in seine
Arme. Sie sind eine Gemeinschaft, schon immer gewesen und Tru fühlt sich mal
wieder vollkommen Fehl am Platz. Sie war nie ein Teil einer Gruppe und sie hat
auch nie zu einem Menschen gehört, wie Lia zu ihren Freunden.
Als sie sich voneinander lösen, muss Lia sich
richtiggehend zu den folgenden Worten zwingen: „Das ist nicht mehr euer Kampf!“
„Es ist dein Kampf, also ist es auch unser Kampf!“,
beteuert Lindsay
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