Schneerose (German Edition)
energisch, obwohl sie sicher nichts lieber täte als diese Einöde
ohne Strom und ohne fließendes Wasser, dafür aber mit Kakerlaken, zu verlassen.
„Ihr habt Abschlussprüfungen! Ich halte euch schon
viel zu lange vom Lernen ab.“
„Wir können die Prüfungen auch wiederholen.“,
entgegnet ihr der Streber Mike, doch Lia schüttelt den Kopf, auch wenn es ihr
nicht leicht fällt.
„Euer Leben geht weiter. Bald wird es hier nur so
von Vampiren und Succubus wimmeln und Beide würden euch sofort in Stücke
reißen, wenn sie könnten. Ihr seid hier nicht sicher und ich kann euch nicht
beschützen. Bitte geht mir zuliebe. Ich will nicht, dass euch etwas passiert!“
Lindsay öffnet bereits den Mund, um ihrer Freundin
zu widersprechen, doch dann schließt sie ihn wieder resigniert. Ein Seufzen
dringt aus ihrer Kehle, während sie Lia unglücklich entgegen blickt. Dann
erklärt sie sich jedoch mit einem schwachen Nicken einverstanden. Mike legt
seinen Arm um Lindsay und drückt sie an sich, da bereits die ersten Tränen über
ihre Wangen laufen. Lias Lippen zittern, gerade ein Nicken bringt sie noch zustande,
bevor sie sich ins Innere der Höhlen zurückzieht. Unschlüssig steht Tru nun bei
den beiden Menschen. Niemand hat sie gebeten zu bleiben oder zu gehen. Es ist
alleine ihre Entscheidung. Auch wenn es für sie keine Wahl gibt, hätte sie sich
wenigstens einen kurzen Blick von Lia gewünscht, stattdessen wurde sie mit
eisigem Desinteresse bestraft. Anders Mike und Lindsay, die sich nun zu ihr
umdrehen. Lindsay wischt eilig ihre Tränen weg und steuert geradewegs auf Tru
zu.
„Kümmere dich um sie und bring sie uns ja heil
wieder!“
Mehr als ein Nicken bringt auch Tru nicht zustande,
doch Lindsay streckt ihr den kleinen Finger entgegen. „Versprochen?“
Ein Grinsen huscht über Trus Gesicht. So sehr ihr
Lindsay auch oft auf die Nerven geht und sie die ohnehin schon kleine Person
gerne einen Kopf kürzer machen würde, so sehr bringt sie sie auch immer wieder
ungewollt zum Lachen. Sie verschränkt ihren kleinen Finger mit Lindsays und
besiegelt damit den Pakt.. „Versprochen!“
Zum Abschied reicht ihr Mike etwas steif, aber mit
dankbarem Gesicht die Hand, während Lindsay sie ohne zu zögern fest an sich
drückt und ihr ins Ohr flüstert: „Du bist gar nicht so übel!“
Dann machen sich die Beiden über die Ebene auf den
Rückweg in die Zivilisation. Es ist ein langer Weg. Aber sie haben bei Tru
Hoffnung hinterlassen. Vielleicht gibt es für sie doch eine Chance irgendwann
ein normales Leben mit Freunden und allem drum und dran zu führen. Vielleicht
wird auch sie einmal ein Teil eines Ganzen sein. Vielleicht.
Stockend tritt Tru zurück in die Höhle. Sie fühlt
sich nicht willkommen, doch will sie nicht länger alleine auf der Ebene herum
stehen. Nach Lia braucht sie jedoch gar nicht lange zu suchen, denn sie sitzt
zusammen gekauert und zitternd in einer erhellten Nische, nicht weit vom Eingang
entfernt. Chasity und Claudia sind nicht zusehen, also tritt Tru zaudernd auf
die Succubus zu. Als sie vor ihr steht, erkennt sie, dass Lia in ihren Händen
die Zeichnung von Orlando hält. Tropfen ihrer Tränen haben die Kohlestriche
bereits verschmiert, während die Ränder eingerissen und zerknittert sind. Stumm
lässt sich Tru neben sie gleiten. Mit schmutzigem Gesicht blickt Lia ihr
entgegen und versucht sich zu erklären: „Ich frage mich immer, ob vielleicht
alles anders gekommen wäre, wenn ich ihn nicht getroffen hätte, aber trotzdem
wünsche ich mir nichts mehr als ihn noch ein letztes Mal zu sehen.“
Tru versucht sachlich zu bleiben und sich ihre
Eifersucht nicht anmerken zu lassen. „Ich denke es war euer Schicksal
aufeinander zu treffen. Wie zwei Magneten, die solange suchen bis sie ihr
Gegenstück gefunden haben.“
Ihre Worte scheinen Lias Trauer etwas zu mildern,
doch wirkt sie nach wie vor vollkommen verzweifelt. Knisternd hebt sie einen
ihrer Flügel. Sie bestehen nicht aus Federn, sondern aus schwarzer Haut, wie
die einer Fledermaus.
„Ich habe Angst mich selbst zu verlieren. Oft
erkenne ich mich kaum wieder. Wenn er wüsste, was aus mir geworden ist, würde
er mich nur noch mehr hassen.“
Tru schüttelt lächelnd den Kopf. „Er hasst dich
nicht. Das könnte er genauso wenig wie ich.“
„Aber ich bin ein Monster!“, ruft Lia geplagt aus
und beginnt erneut zu Schluchzen. Vielleicht sieht sie aus wie ein Ungeheuer,
aber ihre Tränen sind der Beweis dafür, dass sie keines
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