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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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dem Kopf und blätterte in den Unterlagen. Dann sah sie wieder auf. »Frau Regler. Sie haben also Hansen mit einem schwarzen oder schwärzlichen Stein erschlagen?«
    »Ja.«
    Das Rumoren im Gerichtssaal wurde lauter.
    »Und warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Sie haben doch ansonsten alles gestanden!« Edith Manning war wieder ganz Verständnis.
    »Sie hat doch gar keine Ahnung, wovon Sie reden!
    Merken Sie das denn nicht?« Es ging wie ein Rauschen durch den Gerichtssaal, als sich alle in die Richtung drehten, aus der die Stimme kam. Jetzt sah Karen den Mann. Er hatte in der zweiten Reihe gesessen und erhob sich. Ein nicht sehr großer, muskulös wirkender Mann mit dunklen Augen und einem dichten Haarschopf.
    »Wenn Sie die Verhandlung weiter stören…« Die Richterin sah zu den beiden Justizwachtmeistern hinüber.
    »Und warum gibt sie dann alles zu?« Edith Mannings Stimme war hell und scharf geworden, sie klang wie ein Jagdhund, der seine Beute gestellt hatte.
    »Sie weiß doch noch nicht einmal, mit was für einem Stein sie den Mann erschlagen haben soll.« Der Mann sprach ein gepflegtes Hochdeutsch und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
    Krista hatte das Gesicht hinter den Händen versteckt.
    Die Richterin wollte wieder eingreifen, aber Edith Manning beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr etwas zu. Sie wiegte skeptisch den Kopf, nickte dann aber. Die Manning wandte sich wieder zu dem Mann.
    »Wissen Sie es?«
    »Vielleicht war es ein Backstein? Ein Klinker!« Plötzlich wirkte der Mann wie in Trance. »Ein roter Klinkerstein. Zerbrochen. Scharfe Kanten.«
    Karen schüttelte den Kopf. Dieses Theater mußte ein Ende haben. Aber Edith Manning schien es die Sprache verschlagen zu haben. Im Saal hörte man erregte Kommentare. Die Richterin klopfte zweimal aufs Pult und forderte Ruhe. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
    Der Mann sagte noch immer nichts.
    »Thomas Regler.« Krista Regler war kaum zu hören.
    »Mein Mann.«
    Edith Manning schüttelte den Kopf, während sie in ihre Akten starrte. Als ob sie damit nicht gerechnet hätte. Die Richterin sah fragend zu ihr hinüber. Dann schien sie einen Entschluß gefaßt zu haben.
    »Die Verhandlung wird unterbrochen. Zu mir bitte.« Als Karen zum Richtertisch ging, hörte sie Edith Manning Krista Regler etwas ins Ohr flüstern. Es klang ganz wie: »Ich hasse Mandanten, die mich anlügen.«

TEIL II

17
    Klein-Roda
    D er Wonnemonat Mai war ins Wasser gefallen. Es regnete schon seit Tagen; aus anderen Regionen des Landes meldete man Hochwasser und Flutwellen. Christine hielt ihren sattsam bekannten Vortrag über die Klimakatastrophe im diesmal vollbesetzten Dorfgemeinschaftshaus. Und Willi stapfte jeden Tag in Gummistiefeln unten und mit Anglerhütchen oben schlechtgelaunt zum Zigarettenautomaten.
    Zwei Tage lange hatte man tags im Vorübergehen und zwischen zwei Wolkenbrüchen oder abends im »Rauschenden Brünnlein«, wo es auch nicht gerade trocken zuging, über den Fall Regler gesprochen, hatte jedes Argument, jedes Für und Wider sorgfältig hin und hergewendet, hatte ihre Motive, hatte seine Motive gründlich erörtert und war zum Schluß zum kollektiven Richtspruch gelangt: »Es is’ wie’s is’. So sindse, die Menschen.« Von einem Tag auf den nächsten war anderes wichtiger – zum Beispiel der Ölpreis und die Frage der Subventionierung von Dieselkraftstoff für bäuerliche Betriebe.
    Als es irgendwann zu regnen aufhörte und das Thermometer gegen Mittag 19 Grad anzeigte, riß die Bevölkerung Klein-Rodas wie auf Absprache sämtliche Fenster und Türen auf und verließ die geheizten Höhlen. Gottfried sah man im Hof das Gartenwerkzeug inspizieren, er ölte den Spaten und reinigte den Sprühkanister. Marianne lüftete sämtliche Zimmer und nahm die Gardinen ab. Zafer führte vor, wie ein Kleinwagen ohne Verdeck aussieht. Und die ersten beiden aus Klein-Rodas Kinderschar probierten die Weihnachtsgeschenke der Großeltern aus – ein gelber und ein grüner Minitraktor aus Plastik ratterten lärmend den Friedhofsweg hinunter.
    Selbst Bremer zog in Erwägung, allerhand nützliche Dinge anzufangen. Der Kompost mußte auf die Beete ausgebracht werden. Die Wege und die Bodenplatten vor dem Haus verdienten Säuberung. Für den Rosenschnitt war es eigentlich schon zu spät – aber man konnte das Holz umschichten. Das halbverrottete Weinlaub aus den Blumenbeeten klauben. Erbsen und Salat im Frühbeet aussäen. Man könnte…
    Er blieb am

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