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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Landleben fügte.
    Niemals, dachte Bremer und grüßte matt zurück. Ich bin nicht wie der. Und ich will auch nicht werden wie der: Bürgermeisterkandidat! Einer, der die Bauern Mores und Naturverbundenheit lehren will und sich dabei gründlich lächerlich macht.
    Moritz bemühte sich offenkundig, einen gewissen Spaßfaktor in die ländliche Wahllandschaft einzuführen, und wartete mit Argumenten auf, die manchen zu überzeugen vermochten: schon kam Erwin zurück vom Wagen, ein schäumendes Bier in der Hand.
    Jawoll, dachte Bremer. Das ist doch mal eine zugleich populäre und zukunftsweisende Maßnahme! Freibier für alle alkoholkranken Sozialhilfeempfänger, die schon am Monatsanfang im »Rauschenden Brünnlein« nicht mehr angeschrieben kriegen.
    Moritz hob das Mikrofon und holte tief Atem. Es war mit dem Schlimmsten zu rechnen. In diesem kritischen Moment hörte man hinter dem Planwagen einen wütenden Aufschrei und dann hämmernde Geräusche. Moritz duckte sich. Bremer mußte grinsen. Er kannte das Geräusch.
    Der Zigarettenautomat leistete Widerstand, wie üblich. Endlich tauchte ein smarter Junge, Anfang Zwanzig vielleicht, mit einem Päckchen Marlboro in der Hand hinter dem Planwagen auf. Moritz’ Züge entspannten sich.
    Und jetzt? Bremer erwartete mit Vorfreude den Lackmustest, der enthüllen würde, wie ernst es der Troß im Heerzug des Bürgermeisterkandidaten mit dem Umweltschutz nahm. Würde er? Der Wahlkampfhelfer ritzte mit dem Fingernagel die Zellophanhülle auf und löste sie von der Schachtel, knüllte sie zusammen und sah sich verstohlen um.
    Er tat es. Das dünne Zellophanpapier landete da, wo die Abfallprodukte des von Bremer inbrünstig gehaßten Zigarettenautomaten immer zu landen pflegten. In seinem Vorgarten. In den Rosen, die dringend geschnitten werden müßten.
    »Moritz!«
    Der Kandidat zog wieder den Kopf ein und schaute ängstlich in die Runde.
    Was hat er nur, dachte Bremer flüchtig. Fürchtet er die Militanz der Gegenseite? »Ob du deinem Mitarbeiter sagen könntest, daß es sich nicht gehört, Abfall einfach in die Gegend zu werfen?«
    Alle drehten sich um. Moritz schickte einen wütenden Blick zu seinem Helferling. Der junge Mann hätte sich fast verschluckt am ersten Zug aus der frisch angezündeten Zigarette.
    »Abfall gehört weder in die Landschaft noch in meinen Rosengarten .« Bremer konnte laut werden, wenn er wollte, und sah nun mit einer gewissen Genugtuung, wie sich der junge Mann auf einen kurzen Wink seines Arbeitgebers hin über den Gartenzaun lehnte und nach dem Zellophantütchen fischte. Zweimal mußte er, wenn man nach seinem Gesichtsausdruck gehen konnte, in die Rosendornen gefaßt haben. Und das helle Leinenjackett würde den Kontakt mit den bemoosten Zaunlatten nicht ungezeichnet überstehen.
    Bremer nahm befriedigt den Krug mit dem naturtrüben Bier an, den ihm ein ziemlich hübsches Mädchen entgegenhielt. Irgend jemand kam auf die glorreiche Idee, das Musikstück von vorhin erneut abzunudeln. Mittlerweile stand Willi neben Erwin, und auch Marianne ließ sich ein Bier in die Hand drücken. Die Beckers kamen herbei und sogar Gottfried, der ebensowenig für seine Liebe zu Moritz’ Partei bekannt war wie Willi. Man mußte die lieben Nachbarn offenbar bloß bestechen, und schon hatte man sie auf der Straße.
    Endlich brach die Musik ab und wieder pustete Moritz ins Mikrofon. Bremer lachte in sich hinein. Der Mann machte einen Fehler. In Klein-Roda brauchte man weder Verstärker noch Telefon für die reibungslose Verständigung – es kriegte auch so jeder alles mit, vor allem das, was ihn nichts anging. Schon beim ersten Wort brüllten die Nachbarn: »Leiser!«
    Bremer versuchte erst gar nicht, Moritz’ Ausführungen zu folgen. Auch niemand sonst machte den Eindruck, ihm zuhören zu wollen. Gottfried redete mit Marianne, Willi mit Zafer, und die Beckers riefen »Platz!« und »Aus!«, was ihr Hund, der schokoladenbraune junge Labrador, mit entzücktem Schwanzwedeln und aufgeregten kleinen Bocksprüngen beantwortete.
    Aber irgendwie hatten sie doch alles mitgekriegt, die Nachbarn. Subkutan. Denn im nächsten Moment und wie auf ein Stichwort hin verstummten alle und drehten sich zu Moritz um, der noch immer ins Mikrofon sprach. »Auch wir hier in unserer schönen Gemeinde« – er hatte die Arme ausgebreitet, etwas anmaßend, fand Bremer, der Kreis Pfaffenheim umfaßte immerhin vierzehn Weiler – »auch wir sollten der Geschichte Rechnung tragen, sollten ihrer

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