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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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wurde mit Sätzen zitiert, die man für frauenfeindlich gehalten hätte, wären sie nicht Karen Stark zugeschrieben worden, jener idealistischen und ein bißchen feministischen Staatsanwältin, die Bremer zu kennen geglaubt hatte. Er knüllte das Blatt zusammen und warf es in die Ecke, wo Nemax begeistert daran zerrte. Was ist los, Karen, dachte er. Krista Regler wird Jahre, vielleicht Jahrzehnte hinter Gittern bleiben. Macht Verliebtsein mitleidlos?

16
    Frankfurt am Main
    W ährend der Hauptverhandlung gegen Krista Regler fühlte Karen sich beim Verlesen der Anklage das erste Mal seit Tagen wieder obenauf. Die Beschuldigte hatte gestanden – und auch davon abgesehen war der Fall klar. Michael Hansen hatte sie gelockt, verführt und sie dann verlassen wollen. In einer Kurzschlußreaktion fuhr sie in der Zufahrt vor einem Ferienbungalow auf ihn los. Zu ihren Gunsten ist zu veranschlagen, daß sie ihm im letzten Moment noch ausweichen wollte. Michael Hansen prallte erst mit Schienbein und Knie an den Scheinwerfer und dann mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe. Er erlitt eine Fraktur, die sich als tödlich erwies.
    Totschlag mit bedingtem Vorsatz. Sieben Jahre.
    Die Vernehmung der Angeklagten bestätigte im wesentlichen Karens Einschätzung, auch wenn Krista Regler sich rein auf den Tathergang beschränkte und zum Motiv nichts sagte. Das erste Mal merkte man der Frau so etwas wie Gefühle an.
    »Sie sind also am Dienstag, dem 5. Februar, nachmittags gegen 16 Uhr zur Feriensiedlung bei Usingen gefahren, zum Bungalow ›Erlenbruch‹. Ist das richtig?«
    Krista Regler nickte. Die Protokollführerin blickte vom Bildschirm auf und sagte freundlich: »Ich muß Sie bitten, mit Ja oder Nein zu antworten. Ihr Kopfnicken kann ich nicht protokollieren.«
    Die Angeklagte hatte den Anstand, sich zu entschuldigen und laut und vernehmlich »Ja« zu sagen. Das nannte man Haltung.
    »Sie haben sich dort mit einem Mann namens Michael Hansen getroffen, stimmt das soweit?«
    »Ja.« Krista Reglers Stimme klang klar und ruhig.
    »Was war der Anlaß für dieses Treffen?«
    »Ich verweigere die Aussage.«
    »Begründung?«
    »Weil es mit dem Sachverhalt nichts zu tun hat.«
    Und so ging das weiter. Nur, als es um den eigentlichen Tathergang ging, wurde Krista Regler gesprächig.
    »Ich setze mich in den Wagen, der Motor springt nicht an. Dann tut er es doch, aber ich würge ihn ab. Endlich läuft der Motor, stotternd, es ist kalt.«
    »Sie müssen sehr erregt gewesen sein, wenn es einer erfahrenen Autofahrerin wie Ihnen nicht gleich gelingt, das Auto zu starten. Habe ich recht?«
    Die Frage trug Karen ein Stirnrunzeln der Richterin ein. Krista antwortete nicht. Resigniert nickte sie ihr zu und sagte: »Schon gut. Vergessen Sie die Frage.«
    »Ich fahre die verschneite Zufahrt am Haus vorbei in den Wald, wende, fahre zurück. Ich sehe Michael Hansen auf dem Weg stehen im Licht der Scheinwerfer. Ich nehme den Fuß nicht vom Gas. Ich bremse nicht. Ich schließe die Augen. Als ich sie aufmache, steht Michael Hansen immer noch auf dem Weg, direkt vor mir. Ich ziehe das Lenkrad nach links. Ich höre ein Geräusch, etwas prallt gegen die Windschutzscheibe, das Auto gerät ins Schlingern. Ich reiße die Augen auf, versuche, auszugleichen, bin wieder auf dem Weg. Ich erreiche die Toreinfahrt, ich verpasse knapp den linken Pfosten, dann bin ich vorbei. Ich fahre weiter, bis…«
    Krista Reglers Stimme versagte. »Bis?« fragte Karen leise.
    »Ich habe das Auto auf einem Waldweg geparkt und gewartet.«
    »Auf was oder auf wen?« Wieder bemerkte Karen aus den Augenwinkeln, wie die Richterin unwillig guckte.
    »Auf das Sterben«, sagte Krista Regler kaum hörbar. Etliche unter den Zuhörern seufzten auf.
    »Verstehe ich Sie richtig, Frau Regler, daß Sie nicht angehalten haben, obwohl Ihnen nicht entgangen sein konnte, daß Sie Michael Hansen angefahren hatten?«
    »Nein. Ich meine, ja.«
    »Also Sie haben nicht angehalten, um nach ihm zu schauen oder Erste Hilfe zu leisten oder ihn ins Krankenhaus zu bringen?«
    »Nein.«
    »Ich habe keine Fragen mehr.«
    Und dann sah Karen Edith Manning zu, die sich abmühte, aus der Angeklagten irgendeine entlastende Erklärung herauszukitzeln. Die Zeugen, die die Verteidigerin aufrufen ließ, wußten Krista Regler ausschließlich zu rühmen – die Buchhändlerin aus Pfaffenheim, der Mann von der Freiwilligen Feuerwehr, ehemalige Studien und Arbeitskollegen.
    Nach einer Weile merkte sie, daß sie der Verhandlung

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