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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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Geister glauben und behaupten, dass es bei ihnen spukt? Tja, deine Mutter hat mir versprochen, sollte es ein Leben nach dem Tod geben, dann würde sie auf gar keinen Fall zurückkommen und bei mir herumspuken. Sollte ich sie also je als Geist sehen, dann könnte ich mir sicher sein, dass ich mir das nur einbildete.«
    »Und hast du sie gesehen?«
    Seufzend setzte Archie sich in seinen Lieblingssessel. Er lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und schien auf einen Punkt an der Wand zu starren. Nach einer ganzen Weile sagte er: »Überall.«
    Zoe hörte auf, den Baum zu behängen, hockte sich zu Archies Füßen und legte den Kopf auf seine Knie. Er fuhr ihr mit den Fingern durchs Haar, wie er es immer gemacht hatte, als sie noch ein kleines Mädchen war. »Überall. Drei Jahre hat es gedauert, bis ich nicht mehr jedes Mal zwei Tassen aus dem Schrank genommen habe, wenn ich mir einen Tee kochen wollte. Sie stand hinter mir, wenn ich aus der Badewanne kam, und hat mir das Handtuch hingehalten. Oder wenn ich ferngesehen habe und über irgendwas lachen musste oder sagen wollte, ist das zu fassen, dann habe ich aufgeschaut, und sie war da. Sie war überall.«
    »Dad.«
    »Und dann verblasst die Erinnerung immer mehr, aber das will man nicht, und es fällt einem immer schwerer, sich zu erinnern. Und manchmal braucht man Hilfe beim Erinnern. Ich liebe diesen Baum – und doch wieder nicht. Komm, steh auf, an die Arbeit.«
    Archie war ganz groß darin, sich an die Arbeit zu machen.
    Nachdem sie den Baum geschmückt hatte, half sie ihm beim Kofferpacken, obwohl er eigentlich schon fertig war. »Jake kommt morgen früh um sieben. Hast du Bill und Eric Bescheid gesagt?«
    »Das ist wirklich nett von ihm. Aber es ist gar nicht nötig, weißt du.«
    »Er möchte es aber. Er mag dich.«
    »Das ist sehr nett von ihm. Ihr seid beide immer so nett zu mir.«
    »Ich weiß. Du könntest dich mal wieder rasieren. Komm her, gib mir einen Kuss, ich muss nach Hause.«
     
    »Hat alles gut geklappt?«, fragte Zoe Jake, als der am nächsten Tag vom Flughafen zurückkam. »Ich fand, gestern sah er ein bisschen müde aus.«
    »Müde? Die drei waren wie Teenager. Sie haben ein volles Programm: Bowlingturniere und Nachmittagstanztees. Wenn du mich fragst, machen die bestimmt noch ein paar Mädels klar. Wundere dich also nicht, wenn er mit einer neuen Freundin nach Hause kommt.«
    »Solange sie über sechzehn ist, soll es mir recht sein.«
     
    Eine Woche später, zwei Tage vor Weihnachten, feierte Zoe ihren dreißigsten Geburtstag. Sie hatte ein paar Freunde zum Abendessen eingeladen, es wurde viel getrunken und viel zu laut gelacht. Dann, ungefähr als der Kaffee serviert wurde, meinte jemand, der Dreißigste sei ein wirklich wichtiger Geburtstag, worauf alle am Tisch lebhaft beipflichteten. Und dann meinte irgendwer, das sei das erste Mal, dass man die Glocke hörte.
    Was denn für eine Glocke? , hatte jemand anderer gefragt.
    Aber alle wussten ganz genau, was für eine Glocke. Es war so, als sei man schon ein paar Runden gelaufen, habe die nächsten bereits ins Auge gefasst, aber zum ersten Mal hörte man laut und deutlich die Glocke. Einmal hatte sie geläutet, als man sechs oder sieben wurde, aber da war man noch zu jung gewesen, um sie zu hören. Und dann wieder mit vierzehn und mit sechzehn, aber da war man zu sehr damit beschäftigt, was die anderen machten. Und dann noch mal mit einundzwanzig, aber die hatte man überhört, weil man gerade zu viel gequasselt hatte. Und dann wieder mit achtundzwanzig, aber da hatte es aus unerfindlichen Gründen zwei Jahre gedauert, bis man sie hörte. Aber in einem waren sich alle einig: Irgendwann hörte man sie eben doch.
    Der lausige Job, meinte einer der Gäste. Kinder, sagte eine der Frauen. Liebhaber, Freunde, Reisen warfen andere ein. Zuzusehen, wie die eigenen Eltern langsam alt wurden. Gong. Alles, was man nicht getan hatte im Leben. Vielleicht nie tun würde. Gong.
    Und in die Stille nach der Glocke hinein hatte jemand gesagt: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Zoe, du bist die Beste.«
    »Ja, herzlichen Glückwunsch.«
    »Herzlichen Glückwunsch.«
    Nachdem die Gäste nach Hause gegangen waren, räumten Zoe und Jake die Trümmer der Party fort und gingen dann nach oben. Jake ließ sich einfach aufs Bett fallen und war sofort eingeschlafen. Zoe war ein bisschen schwindelig vom Wein. Sie legte sich aufs Bett, und in ihrem Kopf drehte sich alles ein wenig, weshalb sie ein Bein

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