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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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und den Papierkram und ließen Archie in einem Zinksarg zurück nach Hause fliegen wie vorgeschrieben. Archies sterbliche Überreste wurden im Krematorium des örtlichen Friedhofs eingeäschert. Es gab eine humanistische Trauerfeier, wie er es sich gewünscht hatte.
    Zoe ließ den Weihnachtsbaum in seinem Bungalow bis zum Dreikönigstag stehen, wie es die Tradition verlangte. Dann packte sie die hängenden Erinnerungsstücke sorgfältig ein. Seine tragbare Kleidung steckte sie in Säcke, um sie zu spenden, und bat Eric und Bill, von seinem Werkzeug mitzunehmen, was sie brauchen konnten. Ein paar Sachen behielt sie selbst, und Archies Bowlingkugeln gab sie den beiden mit, damit die sie an Mitglieder ihres Klubs weiterreichten.
    Eric fragte sie nach etwas, das sie gesagt hatte, als er sie an jenem Morgen aus Tunesien angerufen hatte. »Du hast gesagt, er habe dich doch besuchen müssen. Wie hast du das gemeint?«
    Also erzählte sie den beiden vom Mond. Eric und Bill schauten sie mit glänzenden Augen an und sagten kein Wort.
    Zoe nahm die Schachtel mit den Weihnachtsmemorabilien und Souvenirs mit nach Hause, damit sie und Jake die Tradition fortsetzen und ihren Baum mit den Erinnerungsstücken dekorieren konnten. Und dann ging sie los und kaufte einen kreisrunden silbernen Mondanhänger, als Symbol dafür, dass Archie nicht mehr bei ihnen war, und in den Jahren danach, wenn sie ihn da am Baum hängen sah, stimmte der Anblick sie doch nie traurig.

11
    Der Wind war abgeflaut, und der ganze Ferienort sah aus wie leer gefegt, als hätte eine riesenhafte Klaue alles weggescharrt wie ein Rechen. Loser Schnee war beiseite gekehrt und hoch vor Türen und Appartementblöcken aufgetürmt, auf der Wetterseite waren Eis und Schnee von den geparkten Autos geschabt worden. Das ganze Dorf schien sich vor dem Sturm weggeduckt zu haben und kam erst jetzt vorsichtig wieder hervor und blinzelte verwundert in die Morgensonne.
    Auch das letzte kleine Wölkchen war vom strahlend blauen Himmel verscheucht worden, der an das Lapislazuli der Totenmaske eines Pharaos erinnerte. Die Frühmorgensonne war in Weißgold wiedergeboren worden.
    »Heute ist der letzte Tag, an dem ich Skilaufen werde«, erklärte Jake.
    »Ach?«
    »Es ist der Hammer. Hier herrschen perfekte Bedingungen. So einen Tag wie heute werden wir nie wieder erleben. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist.«
    »Warum willst du denn aufhören?« Ein leichtes Zittern schwang in Zoes Stimme mit, das sie nicht unterdrücken konnte. Es war fast, als hätte Jake gerade verkündet, vom Glauben abgefallen zu sein. »Warum nicht Skilaufen, solange es noch geht?«
    »Ich glaube, unsere Zeit hier ist begrenzt. Warum, kann ich dir nicht sagen. Aber ich habe das im Gefühl. Und es macht mir einfach keinen Spaß mehr.«
    Zoe widersprach nicht. Jake schien fest entschlossen. Aber sie glaubte ihm nicht so recht; konnte es nicht glauben. Das war nicht das Ende. Morgens war er in der Küche gewesen und hatte anschließend berichtet, das Rindfleisch auf der Edelstahlplatte beginne zu riechen. Seine Uhr lief ab. Doch sie, sie hatte noch immer eine tickende Anti-Uhr in ihrem Bauch.
    Noch immer testete sie regelmäßig, und jedes Mal fiel das Ergebnis positiv aus. Das Baby in ihr lebte, und sie wusste mit einer Sicherheit, die keines Tests bedurfte, dass es wuchs und gedieh. Es mochte vielleicht kaum größer sein als ein Fingernagel, ein Sichelmond an einem unendlich weiten Nachthimmel, aber sie spürte, wie es von ihr lebte, sich von jedem ihrer Herzschläge nährte. Solange es weiter wuchs, solange es immer lebendiger wurde – und dabei war es ihr ganz gleich, wie alt der Fötus war, denn sie spürte das Schlagen von Schmetterlingsflügeln, bei dem kein Arzt der Welt ihr einreden könnte, es seien Blähungen oder Bauchkrämpfe –, solange konnte dies nicht das Ende für sie sein.
    Am liebsten hätte sie Jake das alles ins Gesicht geschrien, aber ihr fehlte die Kraft dazu. Es schien einfach absurd, über ihre missliche Lage zu philosophieren. Sie wollte sich nicht damit abfinden, dass der Tod ein einziges endloses Streitgespräch sein sollte. Sie wusste, dieses Baby in ihr lebte, und sie würde es austragen. Sie wusste nicht, was dann passieren würde. Es war einfach unvorstellbar, tot und gleichzeitig schwanger zu sein. Es sei denn, Jake hatte recht, und sie waren in einem verqueren Abkömmling einer Liaison zwischen Physik und Traumwelt gefangen.
     
    Jake war aus dem Hotel gegangen und

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