Schneestille
ausstreckte und den Fuß fest auf den Teppichboden stemmte, damit das Zimmer aufhörte, mit ihr Karussell zu fahren. Irgendwann schlief auch sie ein.
Ein paar Stunden später wurde sie wach, weil ihr ein grelles Licht direkt ins Gesicht leuchtete. Sie setzte sich auf und blinzelte in die weiße Helligkeit und schirmte die Augen mit einer Hand ab.
»Wer ist da?«
Keine Antwort.
Über die Schulter schaute sie zu Jake hinüber, der von dem Licht angestrahlt friedlich weiterschlummerte.
»Wer ist da?«, fragte sie abermals.
Wieder keine Antwort.
Sie schwang die Beine aus dem Bett, und erst da ging ihr auf, dass das Licht nicht von einer Taschenlampe kam. Es fiel durch das Fenster herein. Jake hatte die Vorhänge nicht richtig zugezogen, ehe er ins Bett gefallen war, und nun schien das Licht von draußen herein. Sie trat ans Fenster.
Es war der Mond. Atemberaubend tief und wächsern hing er am Himmel und schien übernatürlich groß; wie eine aufgepustete Mistelbeere oder eine Perlmuttkugel am Weihnachtsbaum. Sie schnappte nach Luft. Sein Licht wirkte milchig, flüssig, fast klebrig. Ganz deutlich konnte sie die Schatten der Krater auf seiner Oberfläche erkennen. Es war beinahe wie ein unbewegliches Auge, das sie aus dem klaren Nachthimmel anschaute, weit weg und doch interessiert. Noch nie hatte sie ihn so tief am Firmament hängen sehen. Fast schien es, als drohte er auf die Erde zu stürzen.
Aus der Ferne war Musik zu hören, leichte beschwingte orchestrale Musik, die über die Hausdächer herüberwehte. Vermutlich gab anderswo auch jemand eine Dinnerparty. Die Musik wurde lauter und verebbte dann, als wirbelte sie mit einer Brise davon.
Wieder schaute sie über die Schulter zu ihrem schlafenden Ehemann und überlegte kurz, ihn zu wecken. Doch sie widerstand der Versuchung aus Angst, den Zauber des Augenblicks zu zerstören. Also blieb sie einfach am Fenster stehen, den Saum der Gardine in den Händen, und erwiderte mit angehaltenem Atem den starren Blick des Mondes.
Sie wusste nicht genau, wie lange sie den Mond angeschaut hatte, aber nach einer Weile schien er, ohne dass er sich merklich bewegt hätte oder viel Zeit vergangen wäre, zurückgewichen und verblasst zu sein, als hätte er sich zurückgezogen in seine alltägliche Schönheit.
Schließlich legte sie sich wieder hin, den Blick noch immer aus dem Fenster gerichtet. Irgendwann schlief sie ein.
Am Morgen, beim Frühstück, ehe sie zur Arbeit gingen, erzählte sie Jake davon, was sie gesehen hatte.
»Du hättest mich wecken sollen.«
»Ja. Jetzt werde wohl ich nie erfahren, ob ich das womöglich alles bloß geträumt habe.«
Gerade wollte er darauf etwas erwidern, als das Telefon klingelte. Es war Eric, Archies Kumpel; er rief aus Tunesien an. »Zoe, mein Herz, setz dich bitte hin.«
Als sie das hörte, wusste sie schon alles.
»Es tut mir so leid, mein Kleines. Es tut mir so leid.«
»Wann?«
»Als er nicht zum Frühstück gekommen ist, sind Bill und ich hochgegangen zu seinem Zimmer.«
»Verstehe.«
»Du sollst wissen, wie glücklich er gestern Abend war. So glücklich. Nachmittags waren wir bei einem Tanztee. Er konnte gar nicht aufhören zu kichern. Wir haben mit all den reizenden Damen getanzt. Und abends haben wir dann ganz wunderbar gegessen und ein bisschen Wein getrunken, und danach sind wir am Meer spazieren gegangen. Der Mond war unglaublich gestern Abend. Wunderschön.«
»Ich weiß.«
»Archie hat getanzt. Er hat eine unsichtbare Tanzpartnerin über die Strandpromenade gewirbelt. Er war nicht betrunken, du kennst ja deinen Dad. Aber er hat immer wieder gesagt, schaut euch den Mond an, schaut euch den Mond an, Jungs! Bist du noch da, Kleines? Bist du noch da?«
»Ja.«
»Schaut euch den Mond an, hat er gesagt. Ich habe deinen Vater noch nie so glücklich erlebt, mein Kleines. Das hat Bill auch gesagt. Er war ein wunderbarer Mensch, Archie. Ein wunderbarer Mensch. Es tut mir so leid.«
»Er konnte es sich nicht verkneifen«, murmelte Zoe. »Er musste doch herkommen und mich besuchen.«
»Was sagst du, Kleines?«
»Nichts.«
»Ich musste dich anrufen. Er war ein großartiger Mann. Bist du noch da, mein Herz?«
Jake, der sie anschaute und sah, wie ihr die Tränen übers Gesicht liefen, nahm ihr den Hörer fort und hielt ganz sanft ihre Hand, während er mit Eric sprach.
Eric und Bill hatten darauf bestanden, sich um alles zu kümmern. Archies Versicherung übernahm die Kosten, und sie übernahmen die Behördengänge
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