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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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Halluzination, ans Fenster und spähte hinaus. Der Nebel schien sich ein wenig zu heben. Die heftigen Schneeböen hatten nachgelassen, doch die Sicht war noch immer schlecht.
    Sie ging wieder zurück an ihren Platz vor dem Kamin. Dann stand sie auf und trat abermals ans Fenster. Sie schaute nach draußen, und da sah sie eine kleine Bewegung.
    Es war schwer, irgendwas auszumachen, das mehr als zwanzig, dreißig Meter entfernt war. Der Nebel waberte jetzt regelrecht und wurde von Windstößen hierhin und dorthin gepustet, sodass man nur für kurze Augenblicke etwas weiter schauen konnte. Doch ihr Blick fiel auf eine graue, wolfsähnliche Gestalt, und wieder verriet eine Bewegung, dass da draußen irgendetwas sein musste.
    Angestrengt spähte sie in den Dunst und wünschte, Jake wäre wieder da. Dann kam wieder ein Windstoß, und als der Nebel sich lichtete, sah sie die Männer.
    Es waren drei. Sie standen in einem Grüppchen zusammen, wobei einer geduckt dahockte, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Die wolfsähnliche Gestalt. Er rauchte eine Zigarette und starrte zum Hotel herüber. Alle rauchten Zigaretten. Während der Dunst sich um sie herum kräuselte, sah sie die glühende Asche aufleuchten, als einer von ihnen an seiner Zigarette zog; und sie sah die Rauchwolken, die sie ausatmeten. Alle rauchten und schauten zum Hotel. Nicht zu ihr, nicht genau; sie hatten sie wohl noch nicht entdeckt. Alle rauchten und spähten angestrengt in Richtung des Hotels.
    Sie zog den Kopf ein. Das Herz schlug ihr bis zum Hals wie ein Kolben, und sie atmete schnell und stoßweise. Lautlos rutschte sie auf den Boden. Nach kurzer Zeit hatte sie sich so weit zusammengerissen, dass sie zu einer anderen Ecke des Fensters kriechen konnte, wo ein Vorhang hing. Dort konnte sie durch einen Spalt zwischen Vorhang und Wand hinauslinsen und die Männer ungesehen beobachten.
    Doch die rührten sich kaum, außer um sich die Zigaretten zwischen die Lippen zu stecken und Rauch auszupusten. Einer der Männer warf seine Kippe auf den Boden und trat sie aus. Gleich darauf hatte er schon wieder eine Packung in der Hand, zog eine neue Zigarette heraus und ließ sich von einem der beiden anderen Feuer geben. Der dritte blieb hocken und stierte unverwandt auf das Hotel, ohne auch nur einmal den Blick abzuwenden.
    Sie musste an Jake denken, der da draußen war. Und jeden Moment mit dem Holz zurückkommen konnte. Sie würden ihn sehen. Sie würden ihn sehen, wenn er mit dem Holz zurückkam.
    Sie versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen. Denk nach , sagte sie sich. Denk nach . Sie musste sich irgendwas einfallen lassen, um ihn zu warnen. Und zwar so, dass die Männer da draußen nicht mitbekamen, dass sie da waren, dass sie sich im Hotel eingeigelt hatten. Sie musste zu Jake und ihn warnen.
    Der Hinterausgang. Auch wenn sie ihn noch nie benutzt hatte, wusste sie, dass es einen Weg hinten um das Hotel herum geben musste. Vielleicht eine Brandschutztür. Oder eine Tür zur Küche – ja, das war’s. In der Küche hatte sie eine Tür gesehen. Durch die hatte Jake den Müll nach draußen gebracht. Durch die konnte sie rausgehen und hinten um das Hotel herum verschwinden. Von dort würde sie auf die Straße gelangen. Das war’s; das war die Lösung.
    Also robbte sie auf allen vieren unter den Fenstern entlang, immer ganz dicht an der Wand. Als sie die Fensterfront hinter sich hatte, konnte sie sich wieder aufrichten und unbesorgt das Restaurant durchqueren, weil sie von draußen nicht mehr zu sehen war. Vom Speiseraum gelangte sie durch die Schwingtüren in die Küche.
    In der Küche war es noch kälter. Da erst merkte sie, dass sie ihre Jacke neben dem Feuer liegen gelassen hatte.
    Sie beschloss, ohne Jacke hinauszugehen. Schnell lief sie über den gefliesten Küchenboden und drehte den Knauf; zum Glück war die Hintertür nicht abgeschlossen. Draußen schlich sie vorsichtig zwischen den Müllcontainern und den Abfalltonnen hindurch. Von hier konnte sie sich klammheimlich um das Hotel herumschleichen, um auf die Straße zu gelangen.
    Doch an der Ecke des Hotels angekommen, musste sie feststellen, dass es eine Lücke von vielleicht fünfzehn oder zwanzig Metern zwischen dem Hotel und dem Gebäude auf der anderen Straßenseite gab, in der sie ungeschützt und leicht zu sehen wäre. Sie konnte die drei Männer deutlich erkennen, die reglos dastanden, immer noch das Hotel beobachteten und ihre Zigaretten rauchten. Zum Laufen war es zu weit. Die würden sie sehen,

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