Schneesturm und Mandelduft: Kriminalroman (German Edition)
Kreuzfeuer der Kritik hatte er an sich gezweifelt. Er war von Geburt an ein Gewinnertyp.
Natürlich war ihm das Ganze an die Nieren gegangen, und deshalb war er zur Erholung nach Dalarna auf den Gesundheitshof Licht gefahren. Das war ein Glücksgriff gewesen, denn sonst hätte er niemals Vivianne kennengelernt. Die Begegnung mit ihr war für ihn ein Wendepunkt gewesen, sowohl beruflich als auch privat. Sie hatte ihn bezaubert wie noch keine andere Frau, und nun verwirklichte er ihren Traum.
Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, zum Hörer zu greifen und sie anzurufen. Es war bereits das vierte Mal an diesem Tag, aber beim Klang ihrer Stimme kribbelte es in seinem ganzen Körper. Mit angehaltenem Atem wartete er darauf, dass sie ans Telefon ging.
»Hallo, mein Liebling«, sagte er, nachdem sie sich gemeldet hatte. »Ich wollte mich nur erkundigen, wie es dir geht.«
»Erling«, antwortete sie in diesem besonderen Ton, bei dem er sich wie ein liebeskranker Jüngling vorkam. »Es geht mir noch genauso gut wie bei deinem letzten Anruf vor einer Stunde.«
»Fein.« Er grinste dämlich. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass es dir gut geht.«
»Ich weiß, und dafür liebe ich dich. Aber wir haben vor der Einweihung noch viel zu erledigen, und du willst doch wohl nicht, dass ich bis spät in die Nacht arbeiten muss?«
»Auf keinen Fall, mein Schatz.«
Er beschloss, sie nun nicht mehr zu stören. Die Abende mit ihr waren ihm heilig.
»Sei schön fleißig, das bin ich hier auch.« Er schmatzte ein paar Küsse in den Hörer und legte auf. Dann lehnte er sich in seinem Bürostuhl zurück, faltete die Hände im Nacken und malte sich genüsslich die Freuden aus, die ihn heute noch erwarteten.
Im Haus roch es abgestanden. Annie machte alle Fenster und Türen weit auf und ließ den frischen Wind durch die Räume wehen. Im starken Luftzug fiel beinahe eine Vase um, aber sie fing sie im letzten Moment auf.
Sam lag in dem kleinen Zimmer neben der Küche. Sie hatten es in all den Jahren als Gästezimmer bezeichnet, obwohl es eigentlich ihr gehörte. Ihre Eltern hatten im Obergeschoss geschlafen. Sie warf einen Blick auf ihn, legte sich ein Tuch um die Schultern und nahm den großen, rostigen Schlüssel von dem Haken neben der Haustür, wo er immer hing. Dann ging sie zu den Klippen. Der Wind blies ihr durch die Kleidung, als sie mit dem Rücken zum Haus den Horizont betrachtete. Das einzige andere Gebäude auf der Insel war der Leuchtturm. Der Bootsschuppen unten am Anleger war so klein, dass er nicht zählte.
Sie wanderte hinüber zum Leuchtturm. Gunnar musste das Schloss geölt haben, denn der Schlüssel ließ sich erstaunlich leicht drehen. Knarrend öffnete sich die Tür. Dahinter begannen gleich die Stufen. Sie hielt sich am Geländer fest, als sie die schmale, steile Treppe hochstieg.
Die Aussicht war atemberaubend schön, das hatte sie immer gefunden. Auf der einen Seite sah man nur das Meer und den Horizont, auf der anderen breiteten sich die Schären und Inseln aus. Der Leuchtturm wurde schon seit vielen Jahren nicht mehr benutzt. Nun stand er auf der Insel wie ein Denkmal vergangener Zeiten. Die Lampe war aus, und die gusseisernen Mantelplatten und Bolzen rosteten durchs Salzwasser und den Wind langsam vor sich hin. Als Kind hatte sie es geliebt, hier oben zu spielen. Es war so eng wie in einer Puppenstube hoch über der Erde. Nur ein Bett, in dem sich die Leuchtturmwärter während ihrer langen Schichten ausruhten, und ein Stuhl, von dem aus man das Fahrwasser beobachten konnte, passten in den Raum.
Sie legte sich auf das Bett. Die Tagesdecke verströmte einen muffigen Geruch, aber die Geräusche hörten sich noch genauso an wie in ihrer Kindheit. Das Kreischen der Sturmmöwen, die Wellen, die gegen die Klippen schlugen, und die knirschenden und ächzenden Laute, die der Leuchtturm von sich gab. Damals war alles so einfach gewesen. Ihre Eltern hatten sich besorgt gefragt, ob sie sich als einziges Kind auf der Insel nicht langweilen würde. Aber das hätten sie nicht gemusst. Sie liebte es, hier zu sein. Und allein war sie auch nicht gewesen. Doch das konnte sie ihnen nicht erklären.
Seufzend schaufelte Mats Severin die Papiere auf seinem Schreibtisch von einer Seite zur anderen. Heute war so ein Tag, an dem er nur an sie denken konnte. Nicht aufhören konnte, sich Fragen zu stellen. An diesen Tagen schaffte er nicht viel, aber sie wurden inzwischen immer seltener. Er hatte angefangen loszulassen, das
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