Schneesturm und Mandelduft: Kriminalroman (German Edition)
redete er sich zumindest ein. In Wahrheit würde ihm das wohl niemals vollständig gelingen. Noch immer sah er ihr Gesicht ganz deutlich vor sich, und im Grunde war er dankbar dafür. Gleichzeitig wünschte er, dass die Bilder endlich verblassen würden.
Er versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. An guten Tagen machte es ihm mitunter sogar Spaß. Es war eine Herausforderung, sich in die Finanzen einer Gemeinde einzuarbeiten, wo ständig zwischen politischer Rücksichtnahme und marktwirtschaftlicher Vernunft abgewogen werden musste. In den Monaten, die er hier schon arbeitete, hatte er natürlich viel Zeit auf das Projekt Badis verwendet. Er freute sich darüber, dass das alte Gebäude endlich restauriert worden war. Genau wie der Großteil der Leute aus Fjällbacka, ob sie nun noch hier wohnten oder längst weggezogen waren, hatte er jedes Mal, wenn er an dem einst so schönen Gebäude vorbeikam, bedauert, dass man es einfach verfallen ließ. Nun erstrahlte es wieder im alten Glanz.
Hoffentlich behielt Erling recht, wenn er dem Betrieb einen so gigantischen Erfolg versprach. Mats war skeptisch. Das Projekt hatte allein für den Umbau enorme Summen verschlungen, und der vorgelegte Businessplan gründete sich auf viel zu optimistische Berechnungen. Mehrmals hatte er versucht, seine Einwände vorzubringen, war aber auf taube Ohren gestoßen. Außerdem hatte er das ungute Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Dabei war das Projekt von ihm immer wieder durchgerechnet worden, festgestellt hatte er lediglich, dass die bereits entstandenen Kosten schwindelerregend hoch waren.
Er warf einen Blick auf die Uhr. Zeit fürs Mittagessen. Richtigen Appetit hatte er schon lange nicht mehr, aber er musste etwas essen. Heute war Donnerstag, und das bedeutete, dass es im Källaren Pfannkuchen und Erbsensuppe gab. Ein bisschen würde er wohl runterbekommen.
Nur die nächsten Angehörigen sollten bei der Beisetzung anwesend sein. Die anderen verschwanden in Richtung Ort. Erica umklammerte Patriks Hand. Sie gingen direkt hinter dem Sarg, und sie hatte das Gefühl, dass ihr jeder Schritt einen Stoß ins Herz versetzte. Sie hatte sich sehr bemüht, Anna davon abzuhalten, sich das anzutun, aber ihre Schwester hatte auf einer richtigen Beerdigung bestanden. Da dieser Wunsch sie vorübergehend aus ihrem apathischen Zustand gerissen hatte, gab Erica es schließlich auf und war bei allen notwendigen Vorbereitungen behilflich, damit Anna und Dan ihren Sohn begraben konnten.
In einem Punkt jedoch hatte sie sich ihrer Schwester nicht gebeugt. Anna wollte alle Kinder dabeihaben, aber Erica hatte darauf bestanden, dass die kleineren zu Hause blieben. Nur die beiden Ältesten, Dans Töchter Belinda und Malin, kamen mit. Auf Lisen, Adrian, Emma und Maja passte Patriks Mutter Kristina auf. Auf die Zwillinge natürlich auch. Erica hatte befürchtet, dass es Kristina zu viel würde, aber ihre Schwiegermutter hatte ihr versichert, dass die Kinder die zwei Stunden, die die Beerdigung dauerte, in ihrer Obhut überleben würden.
Sie spürte einen Schmerz in der Brust, als sie Annas fast kahlen Kopf vor sich sah. Die Ärzte hatten ihr die Haare abrasieren und ein Loch in den Schädel bohren müssen, um den Druck entweichen zu lassen, der sich darin aufgebaut hatte und dauerhafte Schäden zu verursachen drohte. Nun war auf ihrem Kopf ein zarter Flaum gewachsen, aber er wirkte dunkler als vorher.
Im Gegensatz zu Anna und der Fahrerin in dem anderen Auto, die bei dem Zusammenstoß ums Leben gekommen war, hatte Erica unglaubliches Glück gehabt. Sie kam mit einer Gehirnerschütterung und ein paar gebrochenen Rippen davon. Die Zwillinge waren zwar klein, als sie per Notkaiserschnitt auf die Welt geholt wurden, aber kräftig und gesund genug, um nach zwei Monaten aus der Klinik entlassen zu werden.
Erica brach beinahe in Tränen aus, als ihr Blick von dem Flaum auf Annas Kopf zu dem kleinen weißen Sarg wanderte. Abgesehen von den schweren Kopfverletzungen hatte sich Anna den Beckenknochen gebrochen. Auch bei ihr wurde ein Notkaiserschnitt durchgeführt, aber das Kind hatte so schwere Verletzungen erlitten, dass die Ärzte ihnen nicht viel Hoffnung machten. Nach einer Woche hatte der kleine Junge aufgehört zu atmen.
Das Begräbnis hatte nicht stattfinden können, solange Anna im Krankenhaus bleiben musste. Gestern durfte sie endlich nach Hause. Und heute wurde ihr Sohn beerdigt, dem ein Leben voller Liebe bevorgestanden hätte. Erica
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